Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
Räuber einen Eid geben und ließen die Mönche inzwischen in Ruhe. Aber die Mönche bauten an der Kirche fort, als wäre nichts geschehen, und ließen nur im Schiffe der Kirche an einer Mauer links einen Quaderstein uneingesetzt und legten ihn zu Füßen der Mauer.
Nun klangen die Klosterglocken weit durch die Wildnis und die Räuber, zornentbrannt, kehrten um, Rache an den eidbrüchigen Mönchen zu nehmen; diese führten sie aber an jene Stelle ihrer schönen Kirche, wo der Stein am Boden lag und oben noch einer fehlte, und sprachen zu ihnen: »Ihr sehet, die Kirche wartet noch jetzt auf ihre Vollendung und soll auf sie warten bis auf den jüngsten Tag.« So sahen sich die Räuber von der List der Mönche bezwungen, sie konnten sie keines Eidbruches beschuldigen, wurden auch von der Schönheit des Baues ergriffen und bedachten sich auch wohl, daß ohne starke Beschützer all dies von ihnen nicht hätte geschaffen werden können; man sahe sie von nun an in diesen Wäldern nicht mehr.
Jener Stein am Fuße der Mauer, links von dem großen Altarkreuze, liegt noch da, und oben auf der Mauer, wo er hätte eingesetzt werden sollen, erblickt man eine zum Schwur aufgehobene Hand von Stein, unter welcher Insignien der Baukunst: Kelle, Winkelmaß und Spaten eingehauen sind.
Die Klosterprediger
In dieser großen gotischen Kirche wurde nur zur Sommerszeit Gottesdienst gehalten; für die andere Jahreszeit war eine andere Kirche vorhanden, die aber nur wie eine Art von Betsaal aussah und zwischen dem Dormente und dem Hause lag, in dem der Speisesaal der Klosterzöglinge sich befand. Es war aber eine schlechte Erbauung in beiden. Jener Betsaal hieß die Sommerkirche. Der Gottesdienst begann meistens mit der Zeremonie, daß der Primus der Promotion (der Erste der Zöglinge) sich erhob, nach dem Stuhle, in dem die Frau Prälatin saß, schritt und ihr mit tiefem Bücklinge das Gesangbuch mit dem Gesange, der vorgeschrieben war, darreichte, wobei der gegenübersitzende Herr Prälat seine Schritte wohlgefällig verfolgte.
Die Frau Prälatin hatte ganz den Kopf und die Augen einer Eule, war gegen Untergebene und den Herrn Gemahl sehr herrschsüchtig, gegen uns aber ziemlich bescheiden: denn wir kannten sie schon von Ludwigsburg her, wo sie eine andere Rolle als Häushälterin im Forsthause des Osterholzes spielte.
Außer dem Professor
Maier
befand sich damals zu Maulbronn noch ein Professor Namens
Hiller,
ein alter, frommer, stiller Mann, mit einem gar zarten Stimmchen. Er war hauptsächlich Mathematiker. Auch er war, wie Maier, zugleich Prediger, und sein Vortrag so, daß man bald schlafen mußte, welche Wirkung Maiers Vortrag nicht hatte. Dieser war sehr eindringend und erweckend, denn er tönte fast ganz so wie ein Kamm, wenn man mit ihm auf einer Fensterscheibe auf- und abfährt.
Maier
hatte eine sehr gelehrte Schrift in lateinischer Sprache, betitelt: historia diaboli geschrieben, und predigte viel vom Teufel; der sanfte
Hiller
aber mehr von den Engeln, ihrer und der Menschen Erschaffung und von dem Alter der Welt und der Erzväter, wobei er lange Berechnungen anstellte.
Auch der Herr Prälat predigte zuweilen, soll aber nach Älterer Urteil, auch wenn er predigte, eigentlich gar nichts gepredigt haben, wie ich mich auch durchaus nicht mehr erinnere, was er denn einmal predigte. Außer der Kirche predigte er mir oft (und diese seine Predigten behielt ich), wenn ich mit meinen Kameraden die Stille der Kreuzgänge in der alten Kirche und den Fleiß der Zöglinge auf dem Dormente durch laute Spiele zu sehr störte. Da schuf er mir starken Zank beim Vater, kam aber darüber oft mit seiner Ehehälfte in einen noch stärkern.
Die Prälatin mit dem Eulenkopfe
Ich war nämlich ihr Liebling noch vom
Osterholz
her und konnte sie wohl leiden, weil sie wie eine Eule aussah, was mir wegen meiner Vögelliebe merkwürdig war, und weswegen ich sie immer sehr begierig ansah. Mein Vater versäumte nicht, so oft wir eine gebratene Gans verspeisten, ihr ihr Lieblingsstück, das spitze fette Hinterteil, durch mich zu übersenden, welches Geschäft ich auch so freudig, wie das Füttern eines Vogels verrichtete.
Meinem Vater, dessen Ernst sich im Umgange, besonders mit Frauen, gern verlor, gab sie manche Veranlassung zu Scherzen. Oft noch im Mondenschein, wenn sie mit ihrem Eulengesichte aus dem Erker der vis à vis von uns stehenden alten Prälatur sah und herüberrief, entspann sich zwischen beiden ein scherzhaftes
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