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Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit

Titel: Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justinus Kerner
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nicht mehr gehört wurden. Geschütze und Pontons zogen ganze Nächte lang auf der Straße vor dem Kloster vorüber, an den benachbarten Rhein; und bald ertönte von daher der Donner österreichischer und französischer Kanonen. Bald sprach man von Siegen der Franken, bald von denen der österreichischen Truppen.
    Die Gefahr feindlichen Einbruches schien nahe zu sein, doch ging sie wieder auf kurze Zeit vorüber.
    Mein Vater erkannte wohl, daß in Maulbronn mein Unterricht zu vielen Unterbrechungen ausgesetzt war, und daß – würde ich von all den Zerstreuungen im Hause entfernt und einem einzelnen Manne zur steten Beaufsichtigung übergeben, – daraus mehr Gewinn für mein Wissen und meine Erziehung erwachsen würde. In dem zwei Stunden von Maulbronn entfernten Knittlingen (eben dem Geburtsorte
Fausts)
befand sich damals ein lateinischer Lehrer (Präzeptor), Namens
Braun.
Er war in dem Rufe eines guten Lateiners und strengen Erziehers, wenigstens seiner eigenen Kinder.
    Ich mußte dahin.
    Mit großer Trauer schied ich von meinen Blumen und meinen Tieren; doch wurde mir das Versprechen gemacht, ich dürfe jeden Samstag über den Sonntag wiederkehren, wozu Matthias mir die Rappen bringe.
    Letzterer versprach mir auch für meine Tiere zu sorgen, meine Schwester für meine Blumen, und meine Mutter versicherte mich, was sie auch treulich hielt, mir so oft als möglich Schachteln voll Obst zu senden.
    Das Haus des Präzeptors zu Knittlingen hatte, hinter einer Kirche versteckt, eine sehr fatale Lage. Es war kein freier Platz vor ihm, wie vor dem Hause zu Maulbronn; und statt des schönen lebendigen Brunnens war vor ihm eine Miststätte, wegen welcher der Präzeptor mit seinem Nachbar, dem Schulmeister, immer im Streite lag.
    Der Präzeptor war ein langer, hagerer Mann, mit ganz schneller, fast stotternder Aussprache.
    Aus Rücksichten für meinen Vater, und aus Furcht, ich möchte ihm nicht lange gut tun, war er zwar gegen mich nicht heftig, aber gegen seine Kinder, und namentlich gegen seine 3 Knaben, die so ziemlich in meinem Alter waren, so strenge und tyrannisch, daß er sie bei den kleinsten Vergehen barbarisch schlug, ja sie oft noch dabei auf den Boden warf und mit den Füßen auf ihnen herumtrappte. Dieses Schicksal traf besonders oft seinen 2. Sohn, Namens
Gottlieb,
der in spätern Jahren in Karlsruhe der Verleger meiner ersten Schriften, meiner Reiseschatten, meines Musenalmanachs, der Geschichte zweier Somnambulen und noch anderer Schriften von mir wurde.
    Dieser hatte den gutmütigsten Charakter von allen, sah aber immer kränklich aus, wogegen der ältere,
Friedrich,
wie das Leben blühte. Diesen, mehrere Jahre älter als ich, traf ich später in der Tuchfabrik zu Ludwigsburg wieder. Er hatte sich in sieben Sprachen geübt, machte als Kaufmann eine schöne Laufbahn, auch durch gute Verheiratung, ergab sich aber dem Trunke und endete sehr elend, wogegen
Gottlieb
bis zu seinem Tode die Stütze der übrigen Geschwister blieb.
    Unter diesen befand sich ein damals noch kleines Mädchen, das, zur Jungfrau herangereift, eine der größten weiblichen Schönheiten wurde. Auf eine bedauernswürdige Weise wurde sie an einen als Kaufmann auf den Messen herumziehenden Italiener verheiratet, bei dem sie ein höchst trauriges Los traf. Sie erkrankte und wurde geschieden; da nahm sie der Bruder
Gottlieb,
jetzt Buchhändler in Karlsruhe, auf. Hier lernte sie der Dichter Ludwig
Robert,
Rahels Bruder, kennen, und nahm sie, von ihrer Schönheit bezwungen, zur Gattin. Er und sie starben bald nach einander. –
Varnhagen
stiftete ihr in seinen Biographien ein schönes Monument, und
Heine
dichtete auf sie mehrere Sonette, in denen er sie aufrief, aus dem Sande von
Berlin
nach Indien zu ziehen, und gewiß, sie war eine wahrhaft indische Schönheit, eine Sakontala.
    Die Mutter war eine sanfte und gutmütige Frau, hatte aber durch den schweren Haushalt und den Jähzorn ihres Mannes viel zu ertragen. Ihre Sorge für mich war mütterlich.
    Die Veränderung, die ich hier gegen mein voriges Leben fand, war der Art, daß mich wohl ein starkes Heimweh hätte ergreifen können, was aber doch nicht der Fall war. Wo die Jugend nur wieder in ihrer Phantasie sich mit etwas Neuem beschäftigen kann, da ist sie schon zufrieden.
    Meine neue Ausstattung in Kleidern, Waschgeräte, einem Koffer, einem Stiefelzieher, war aller Trost und Ersatz, und ich fühle, – denke ich diesem Stiefelzieher nach, – jetzt noch im Alter, ein Wohltun um die

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