Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
und vereinigt sich hier mit einer zweiten Wassermasse, die von der Höhe Tivolis aus einem engen Felsenschlund hervor, wie ein wilder Jüngling, in den Abgrund springt. Die Sonne schien gerade in die Kristallwolken von Wasserstaub, und zwischen diesen Gegenständen des hohen Entsetzens schwebte des Regenbogens sanfteres Bild.
Auf dem Felsenbette, umringt auf allen Seiten von schroffen Felsenwänden, bricht sich der wilde Sturz, und schon beginnt ein sanftes Hingleiten über den breiten abgeglätteten Steinboden, als ein neuer Fall auch neues Toben, neues Donnergeräusch erzeugt. Furchtbar wütet der Strom, seine Wogen scheinen vor dem Anblick des zweiten Abgrundes sich rückwärts gegen die Felsen zu bäumen, von denen sie herabgestürzt waren. Vergeblicher Widerstand! Neptun schickt die folgende Woge, und der Strom stürzt in die Grotte der Sirenen und aus diesem Schlunde der Finsternis in felsichtes Bette, das zwischen den Gebirgen sich hinzieht.
Bei der Grotte der Sirenen, hart an dem Abgrund, maß mein erstauntes Auge bald die furchtbare Höhe, bald die hohe Felsenwand, die in dem Vordergrund an der Grotte Neptuns gegen Tivoli und dem Tempel der Vesta emporragt. Die ganze große Naturszene beherrscht dieser Tempel, den Göttern zum hohen Wohnsitze geschaffen, gemacht, um zur Anbetung zu stimmen, Gefühle hervorzurufen, die den Busen schwellen, das Herz mit Kraft erfüllen und die Seele zu verwegenem Fluge beflügeln.
Ein anderer Teil des Teverone, der um die Stadt geleitet wird, um Mühlen und Fabriken das nötige Wasser zu geben, stürzt nicht fern von der ehemaligen Villa Mäcens in silbernen Wasserbogen von italienischem Grün und den Reichtümern der Ceres umlagert, über bemooste Felsen mit sanfterem Geräusch herab und strömt zwischen Bäumen, Gebüsch und Wiesengrund, seine Melodien in den Gesang der Nachtigall mischend, dahin.
Wenige Schritte von dem Ponte Lupo bietet die Quelle der Blandusia dem ermüdeten Wanderer Labetrunk mit der Erinnerung an horazischen Gesang. Sie schützt nach oben ein Gewölbe, Reste eines der Nymphe geheiligten Tempels, vor den erwärmenden Strahlen der Sonne, von der Seite spiegelt dichtes Gebüsch sich in der zitternden Silberquelle. Alle diese hohen Szenen der Natur werden von dem malerisch liegenden Tivoli beherrscht, das hoch auf dem Gebirg in schönen Gruppen dem Auge frohen Genuß gewährt.
Der Weg von Tivoli an den Cascadellen vorüber nach dem Ponte Lupo fuhrt über die Trümmer der Villa von Cicero, Cassius und Brutus, von Horazius, von Quintilius Varus. Gegenüber auf der andern Seite erheben sich noch stolz die Trümmer der Villa Mäcens. Da wo der Günstling Augusts einst horazischen Weihrauch atmete, tönt jetzt des Hammers schallender Schlag aus der Mühlen Klappergeräusch. Da wo einst Zyperwein aus goldenen Pokalen strömte, fließt jetzt des Werkmanns Schweiß unter der Arbeit Last. Hier wo jetzt die Pflugschar bemooste Steintrümmer in die Erde drückt, diesseits des Stromes, im Schoße der schönen Natur, stärkte sich Cicero zum Kampfe gegen Catilinarische Kühnheit. Hier auf dieser andern Stelle sangen Tibull und Catull. Hier lebte den Musen der vaterländische Horaz, und über diesen Trümmern erhob sich einst die Villa des Quintilius Varus, des Zeugen germanischer Kraft, als sie den Kaisersadler in seinem hohen Fluge ergriff und blutend zur Erde schleuderte, daß der furchtbare Fall aus dem Auge Augusts Tränen des Schmerzes erpreßte. Hier endlich wandelten bei nächtlichem Dunkel und Regenschauer Brutus und Cassius. Hier heiligte die letzte Flamme römischer Freiheit den Dolch, der Cäsars Brust durchbohrte.
Auf dieser der Geschichte geheiligten Stätte traf ich vor Jahren zuerst mit dem Helden zusammen, dessen Name mit allem Fuge auch der Geschichte dieses Landes angehört, dessen Charakter Roms schönsten Jahrhunderts würdig war, der, wie keiner der fränkischen Feldherrn, so viel Sinn für Vereinigung der italienischen Völker in eine unabhängige Nationalmasse hatte, mit
Joubert,
dem Unvergeßlichen. Im Austausch unserer Gefühle wandelten wir hier lange unter den Trümmern vergangener Größe dieses Volkes, aber schon damals glaubt' ich in ihm jene Züge zu erkennen, denen das Glück nur selten entgegenkommt. Es war eine beklagenswerte Leidenschaft, die Liebe seiner Schwester, die ihn in die militärische Laufbahn warf. Die Unglückliche liebte ihn mit aller Glut verbotener Liebe, und als er sich geflissentlich von ihr entfernte, fiel sie
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