Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
und schlechter Charakter, glaubte sich seine Sache zu erleichtern, wenn er auch vom Herzog sehr treu geglaubte Offiziere darein verwickelte, und so suchte er meinen Bruder auch schon durch die republikanischen Gesinnungen seines älteren Bruders, die dem Herzoge nur zu bekannt waren, zu verdächtigen. So kam es, daß mein Bruder eines Morgens auf einmal durch seinen Vorgesetzten, den General
Kammerer,
die Weisung erhielt, sich mit ihm auf Befehl des Herzogs sogleich auf die Feste Asperg zu begeben, um dort vor besagter Kommission ein Verhör zu erstehen. Man glaubte aber höhern Ortes so wenig an seine Schuld, daß ihm auch nicht einmal der Degen abgenommen wurde, er reiste mit seinem General wie zu seinem Geschäfte im Dienste nach der Feste Asperg ab.
Welch Herzeleid aber meine Mutter empfand, ist wohl zu erachten; auch wir Geschwister brachen in Klagen und Weinen aus.
Es hatte sich in Ludwigsburg unter den Familien eine allgemeine Angst verbreitet, und wer nur in etwas kein gutes Gewissen hatte, brachte die etwa verdächtig sein könnenden Papiere und Bücher auf die Seite, und Hunderte, die sich gegen die politischen Verhältnisse geäußert, erwarteten ihre Abführung auf die Feste.
Mein Bruder aber war an demselben Tage abends schon wieder von der Feste zurück, es konnte ihm nicht die mindeste Schuld beigemessen werden, und selbst bei einer Audienz, die er sogleich darauf beim Herzog begehrte, und in welcher er sich über den Vorfall beschwerte und nicht Gnade, sondern Gerechtigkeit, forderte, wurde ihm alle Genugtuung.
Unser Vetter
Hauff,
auch
Bonz
wurden bald vom Asperg entlassen, und es erstreckte sich die Zahl der gefangen Gebliebenen nur noch auf sechs; denn es beruhte die Verhaftung bei einzelnen nur auf solchen Denunziationen und ungegründetem Verdacht, und die Persönlichkeit der gefangen Gebliebenen war gar nicht der Art, daß von ihnen eine Staatsumwälzung und Errichtung einer deutschen Republik zu erwarten gewesen wäre. Nur einem derselben, dem Landschaftskonsulenten
Batz,
ging es sehr übel; er wurde von den Österreichern lange herumgeschleppt, auf eine österreichische Festung gebracht und, wenn ich nicht irre, erst nach Jahren wieder in Freiheit gesetzt.
Hegels Schwester
Die Nichte meiner Mutter, die Gattin des Sekretärs
Hauff,
der dazumal zu Stuttgart seinen Wohnsitz hatte, kam in dieser Zeit oft in unser Haus, um ihrem auf dem Asperg gefangenen Gatten näher zu sein; auch hatte sie eine Freundin in Ludwigsburg, die gutmütig und entschlossen genug war, ihr Briefe an ihren Mann auf der Feste zu besorgen. Diese Freundin kleidete sich in Magdkleider, brachte die Briefe in ein Gefäß mit doppeltem Boden, in dem man den Gefangenen, was erlaubt war, gekochtes Obst, Gelee usw. zusandte, das sie zu Fuß dann auf die Feste trug und gut an Mann brachte.
Diese Person war die Schwester des berühmten Philosophen
Hegel,
damals als Gouvernantin bei dem Landvogte Grafen von
Berlichingen
in Ludwigsburg angestellt. Sie war schon eine ziemlich bejahrte Jungfer, ungemein mager, bleich, mit glänzenden Augen und großer Lebendigkeit, so wie von ausnehmender Güte.
Ihre Gefälligkeit kam auch in anderer Weise oft auf die Probe, häufig dadurch, daß sie die eiserne Hand des alten Götz von
Berlichingen
unter ihrer Verwahrung hatte, die bald in jenes, bald in dieses Haus, zur Betrachtung für Einheimische und Fremde gewünscht wurde, und die sie immer gefällig selbst brachte und erklärte.
Die Arme aber verfiel nach und nach in Geisteskrankheit und bekam die fixe Idee: sie sei ein Päckchen, das man auf der Post verschicken wolle, welcher Gedanke des Verschicktwerdens sie immer in die größte Unruhe und Verzweiflung versetzte. Näherte sich ihr ein fremder Mensch, so fing sie an zu zittern, denn sie befürchtete, der komme sie mit Bindfaden zu umwickeln, zu versiegeln und auf die Post zu tragen. Diese Angst steigerte sich in ihr bis zur höchsten Schwermut, in welcher sie einen freiwilligen Tod in den Fluten der
Nagold
fand.
Schule und Schulkameraden
In Ludwigsburg fing nun für mich ein ernsterer Schulunterricht an.
Es war dort ein strenger aber guter Lehrer der klassischen Sprachen, mit Namen
Breitschwerdt,
der, so viel als möglich war, alles aufbot, bei mir das früher Versäumte nachzuholen.
Es war ein Mann von steifer militärischer Haltung, in seinen Glanzstiefeln hatte er, wie in einem Köcher, Haselnußstecken verwahrt, mit denen er, zwar mich nicht, aber andere seiner
Weitere Kostenlose Bücher