Bildnis eines Mädchens
weder
der Direktor noch der Besitzer dieses Hotels.«
»Dann werde halt Direktor!«, zischte Andrina verächtlich. »Dann kannst du schalten und walten.«
Sie hatte nicht erwartet, dass ihn das derart in Wut versetzen könnte, denn er war selten wütend. Aber jetzt zuckte sie zusammen,
als er mit der flachen Hand heftig auf die Tischplatte schlug.
»Genug! Ich möchte sehen, wie zufrieden du wärst, wenn ich in irgendeinem Dorf in irgendeinem Hotel Direktor über ein Dutzend
Gästezimmer wäre.«
Sie war zu weit gegangen. So war nichts zu erreichen.
»Ich seh schon, du willst mich nicht verstehen«, sagte sie beleidigt. »Heute Abend können wir uns übrigens nicht sehen, mein
Vater hat Geburtstag.« Damit rauschte sie hinaus.
Achille Robustelli öffnete nachdenklich die Schublade seines Schreibtisches, entnahm ihr das silberne Etui und diesem eine
Zigarette, die er bedächtig anzündete, nachdem er sie auf der Schreibtischkante zurechtgeklopft hatte. Segantini hatte Nika
im Garten haben wollen, um sie jederzeit sehen zu können. Warum hatte er, Robustelli, Nika wieder ins Haus geholt? Damit Segantini
sie nicht mehr treffen konnte? Damit er, Achille, sie näher bei sich hatte? Hatte Andrina doch recht? Hätte er nicht genauso
gut sie zur Vorbereitung des Balles in den Service holen können?
Er klappte den Deckel seines Zigarettenetuis unschlüssig auf und zu. Es war nicht leicht gewesen, Andrina zu versöhnen, nachdem
sie gehört hatte, Nika bekomme ein Zimmer unter dem Dach. War es nicht allzu verständlich, dass sie sich erneut zurückgesetzt
fühlte? Sie hat eben ein aufbrausendes Temperament, redete Achille sich zu, um seine unruhige Seele zu besänftigen, und sie
hat die Straniera vom ersten Moment an nicht ausstehen können.
Er zog an seiner Zigarette und blies den Rauch in Ringen wieder aus. Es war besser, nicht zu viel darüber nachzudenken. Der
Konflikt würde sich in blauen Dunst auflösen, wenn er Andrina erst seiner Mutter vorgestellt hatte.
***
»Si, Signore?«, fragte Nika, richtete sich aus der gebückten Haltung auf, Schaufel und Besen in den Händen, und blickte in
die braunen Augen eines jungen Mannes, der sie mit »scusi, Signorina« angesprochen hatte.
»Darf ich?«, fragte er lächelnd und nahm ihr Schaufel und Besen aus der Hand. »Das Glas ist nämlich mir heruntergefallen!«
Er bückte sich, fegte die Scherben zusammen und gab ihr die Schaufel wieder.
Nika sah ihn verwirrt an.
»Habe ich Sie nicht bisher draußen im Park gesehen?«, fuhr er unbekümmert fort, »beim Gärtnern?«
Seine Stimme löste ein leises, angenehm warmes Rieseln in ihr aus, aber der Kellner, der sie hergeschickt hatte, um das kleine
Malheur zu beseitigen, hatte ihr eingeschärft, dass es verboten war, privat mit den Gästen zu sprechen. Die Angestellten des
Hauses durften nicht einmal mit den Dienstboten der Gäste reden. Aber sie musste doch eine Antwort geben. Nika entschloss
sich zu nicken. So hatte sie geantwortet und doch nicht gesprochen.
Fabrizio Bonin bemerkte ihre Verlegenheit. Er ließ sie gehen, sagte aber noch: »Ich freue mich, dass Sie jetzt im Hotel arbeiten.
Dann werde ich Sie öfter sehen.« Er lächelte, wandte sich wieder seinem Freund zu, und Nika stob eiligst mit den Scherben
davon.
»Du hast einen guten Geschmack«, sagte James amüsiert, der inzwischen recht vertraut mit Fabrizio war, aber noch nie mit ihm
über Frauen gesprochen hatte.
»Sagen wir, ich habe einen eigenen Geschmack. Ich verliebe mich nicht so leicht. Flirten ist mir ein Graus, und die meisten
Frauen, die andere hübsch und begehrenswert finden, halte ich weder für schön noch für anziehend. Du siehst«, Fabrizio lachte
und erhob ein frisches Glas, das der Kellner eilfertig nachgefüllt hatte, »ich habe es schwer.«
James prostete ihm zu. »Tröste dich. Ich liebe den Flirt und finde viele Frauen hübsch, aber ich bin genauso allein wie du!«
***
Nika warf die Glasscherben in den Abfall und stahl sich, wie vor Zeiten schon einmal, in eine der Damentoiletten. Sie verschloss
die Tür und besah sich im Spiegel. Sie hatte zugenommen, denn Benedetta schöpfte ihr reichlich auf, und ihr Körper hatte bei
aller Schlankheit weichere Formen angenommen. Sie war gebräunt von der Arbeit im Garten, anders als die Damen, die hier zu
Gast waren und immer Sonnenschirme trugen, damit ihre Haut weiß blieb. Aber ihr Haar war schön. Aufmerksam betrachtete sie
ihre
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