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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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eindecken, Wasserkaraffen nachfüllen, Brotkörbe reichen.
    Die Damen, die tagsüber Badminton gespielt, um den Cavloc-See spaziert waren oder sich mit Sonnenschirm auf einem Maulesel
     zum Lagh Lunghin hatten hinauftragen lassen, erschienen in Abendroben und trugen, was sie an Schmuck besaßen. Die Herren kamen
     von der Jagd, die eigentlich den Einheimischen vorbehalten war, aber mit etwas »Oil of Palm« zugänglich gemacht wurde. Stiegen
     herab von Bergtouren auf den Gipfel der Margna oder der Überquerung des Fedozgletschers. Jetzt führten sie im Frack ihre Damen
     am Arm und hatten einen Bärenhunger. Auch auf die hübscheren unter den Serviermädchen fiel der eine oder andere hungrige Blick.
    Neben dem Speisesaal gab es, der letzte Chic, ein Restaurant à la carte, den Damensalon, das Rauchzimmer, den Billardsaal
     und mehrere Lesezimmer. Manchmal wurde Nika auch dorthin geschickt, um einen Tee, einen Cognac zu bringen. Ehrfürchtig schritt
     sie über die Teppiche und erstarrte, als sie einmal die Tür zum Ballsaal geöffnet fand, der im Mitteltrakt des E-förmigen
     Gebäudes untergebracht war, direkt über den Dampfkesseln, die das Riesenhotel heizten.
    Am Ende des Saals mit seinen riesigen Fenstern und den prachtvollen Plüschportieren befand sich eine Bühne, die darauf wartete,
     im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen. Nikas Fantasie reichte nicht aus, sich vorzustellen, was den Gästen geboten wurde.
     Hier wurden lebende Bilder einstudiert und die allerneuesten cinematografischen Werke vorgeführt, spielte das Orchester der
     Mailänder Scala, sangenStars der Metropolitan Opera in New York und, selbstverständlich, wurde hier getanzt.
    ***
    »Sag, dass das nicht wahr ist!« Andrina wagte nicht, die Tür zu Achille Robustellis Büro ins Schloss krachen zu lassen, aber
     ihr Ton ihm gegenüber hatte sich gründlich geändert. Sie hatte ihm einige Zugeständnisse gemacht, seit er ihr eine Verlobung
     in Aussicht gestellt hatte. Nicht zu viele, aber genug, um ihre eigenen Interessen mit einem gewissen Nachdruck zu vertreten.
     Doch die Art und Weise, wie er Nika hätschelte, hätte auch sanftere Gemüter als das ihre zur Raserei gebracht.
    Achille Robustelli schaute erschreckt von seinem Schreibtisch auf. »Was soll nicht wahr sein, tesoro, Andrina? Wovon redest
     du?«
    Andrina hatte die Hände erregt auf die Hüften gestützt und schien nach Luft und Worten zu ringen.
    »Was ist? Nun sag es schon.«
    »Nika arbeitet im Speisesaal, habe ich da richtig gehört?«
    Robustelli nickte. »Ja, so ist es. Wieso regt dich das auf?«
    Andrina ließ sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch fallen und warf die Arme theatralisch in die Luft, als wolle sie die
     nicht vorhandenen Umstehenden fragen, was sie von einer solchen Antwort hielten. »Was mich aufregt? Ja siehst du das denn
     nicht selbst? Und hab ich es nicht schon tausendmal gesagt? Da kommt ein Mädchen über die Berge, keiner weiß, woher und wozu,
     nistet sich in unserem Haus ein, isst die Suppe, die meine Mutter kocht, verdreht meinem hilflosen Bruder Gian den Kopf und
     strebt nach Höherem. Die Dame macht sich heran an den berühmten Segantini und will sich jetzt nicht mehr im Garten die Finger
     schmutzig machen. Im Speisesaal, unter den Kristalllüstern, an den weißgedeckten Tischen will sie mit dem Adel verkehren. Und Signore Robustelli findet, wieso nicht?«
    Andrina hatte sich mit ihren eigenen Worten so in Rage versetzt, dass sie aufsprang und vor ihm stand, als wolle sie sich
     gleich auf ihn stürzen.
    »Setz dich!«, sagte Achille streng. »Ich bin zu Anfang nur einem Wunsch des Signore Segantini nachgekommen, er ist immerhin
     mit dem Direktor des Hotels befreundet. Segantini wollte die junge Frau fördern. Das Mädchen hat sich gut entwickelt   …«
    »Ganz genau, so ist es! Die Augen der Hexe bringen euch alle zum Träumen, während sie kalt ihre Ziele verfolgt. Und du? Kamst
     nicht auf die Idee, es könnte andere geben, die viel eher in den Speisesaal versetzt werden müssten?« Andrina sah mit hoch
     erhobenem Kopf aus dem Fenster.
    Achille seufzte. Das gab mehrere Tage Entzug, das war gewiss.
    »Nun beruhige dich doch, Andrina   …«
    »Ach ja? Aber sie gefällt dir   …«
    »Ich habe nur eine Feststellung gemacht, die jeder bestätigen könnte, auch du. Im Moment brauche ich Nika dringender im Service
     als im Garten. Und davon abgesehen, kann ich nicht einfach schalten und walten, wie ich will oder du willst. Ich bin

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