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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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für den Nachmittag eine besondere Rolle zugedacht worden war.
    »Schön, dass du mich brauchst, Jamie. Und meine Aufgabe wäre?«
    Man hörte ihm seine Lustlosigkeit an, in Gesellschaft durch die Gegend zu spazieren. Alle würden ununterbrochen reden, möglichst
     von sich, und neben Eitelkeiten viel Dummheiten austauschen, die Natur keines Blickes würdigen und am Ende kaum wissen, durch
     welche Landschaft sie gewandert waren.
    »Ich bin sicher, der Weg gefällt dir«, schmeichelte James, »es heißt, die Vögel flattern einem dort auf die Hand, wenn man
     ihnen Futter hinhält, und du magst doch Vögel   …« Edward trieb den Freund mit einer ungeduldigen Handbewegung zu mehr Tempo an. »Und es wäre einfach großartig, wenn du dich
     mit Mathildes Tante abgeben könntest, weißt du«, fuhr James fort.
    »Was sonst, ich soll dir den Weg frei- und die Anstandsdame von Mathilde fernhalten.«
    »Ganz genau«, erwiderte James erleichtert, dass sein Freund begriffen hatte, worum es ging.
    »Und du willst vor den Augen deiner ruchlosen Kate das Wild erlegen und ihr die Trophäe zu Füßen legen.«
    »Sie wird nicht länger die Katze in diesem Katz-und-Maus-Spiel bleiben«, widersprach James, »sie wird vor Eifersucht vergehen,
     wenn sie mitbekommt, dass die hübsche Mathilde sich ergibt, während du die Tante ablenkst, und sie wird sich damit einverstanden
     erklären, mich allein zu treffen! Ich werde sie noch heute Nacht bei mir haben, das schwöre ich dir!«
    »Wen?«, fragte Edward.
    »Na, Kate!«, rief James erstaunt über die Begriffsstutzigkeit des Freundes.
    Edward schwieg. »Und wenn ich es nicht tue?«
    James hatte Widerspruch erwartet, Edward war einfach zu seriös.
    »Dann beraubst du dich und Madame Betsy Huber, geborene Wohlwend, eines schönen Nachmittags. Ihr könntet auf Deutsch Konversation
     machen, und du könntest endlich einmal mit deinen Deutschkenntnissen prahlen. Übrigens ist sie ausgesprochen attraktiv, ich
     hab dir die beiden doch neulich in der Meierei gezeigt. Du musst zugeben, dass diese Dame, wenn sie nicht auf ihre Nichte
     aufpassen müsste, sehr viel Aufmerksamkeit und Sympathie verdienen würde. Sie sieht sogar ausnehmend gut aus, finde ich, ist
     elegant und hat – nun, ich finde, sie hat Rasse   …«
    Edward hasste es, wenn James von Frauen wie von Pferden sprach.
    »Du möchtest sagen, eigentlich gefällt sie dir ganz gut, und du bist nur leider zu beschäftigt, um sich auch noch ihrer anzunehmen?«
    James lachte. Das Spiel war gewonnen. Edward war nicht begeistert, aber er würde mitkommen, sonst wäre er in Schweigen versunken,
     wie er es manchmal tat, wenn er sich gegen etwas sträubte.
    »Vielleicht entdeckst du ja dein Herz für sie. Du wirst dich sicher gut mit ihr unterhalten, Eddie. Und nun mach zu. In einer
     Stunde treffen wir uns beim Restaurant Waldhaus am See, von dort aus gehen wir los. Und denk daran, vielleicht begegnest du
     heute Mittag ja deinem Glück.«
     
    Das Glück wird den einen gegeben und den anderen genommen, dachte Edward, sprach den Gedanken aber nicht aus, weil diese Gleichung,
     wie er wusste, natürlich falsch war, da einem nur genommen werden kann, was man einmal besessen hat. Also hatten auch die
     Unglücklichen einmal das Glück gefunden. Nur hatte, wer einmal unglücklich geworden war,mehr Mühe, neues Glück zu erkennen. Das Glück begünstigt die Glücklichen, weil sie geübter darin sind. Es fliegt ihnen nicht
     öfter zu, aber sie greifen beherzter danach. Nicht so Edward, dem schon lange kein deutlich erkennbares Glück mehr über den
     Weg gelaufen war. Wie auch? Emily war seine große Liebe gewesen. Und sein Unglück war nicht einmal ein tragisches, das ihm
     erlaubt hätte, am Ende fast so etwas wie ein theatralisches Glück aus seinem unglücklichen Schicksal zu ziehen. Die Liebe
     war einfach ungleich verteilt gewesen. Emily hatte ihn weniger geliebt als er sie, mit dem Ergebnis, dass sie eines Tages
     die Verlobung aufgelöst und einen anderen Mann geheiratet hatte, mit dem sie, so weit er das beurteilen konnte, tatsächlich
     glücklich geworden war.
    Nein, seine Geschichte war keine Geschichte zum Vorzeigen, aber traurig genug, um sich den Frauen eher zögernd und mit einem
     gewissen Misstrauen zu nähern. Weil aber das Misstrauen eigentlich gar nicht seinem Naturell entsprach, hatte er sich lieber
     neuen Interessen zugewendet. Sein Vater – der als Geschäftsmann ein Vermögen gemacht und die Gewissheit hatte, dass

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