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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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abgestillt. An Kuhmilch und einer Darmentzündung wollte
     ich dich nicht sterben lassen, und zu versuchen, dich mit Ziegenmilch durchzubringen, dazu hatte ich keine Zeit. Darum bin
     ich zum Pfarrer gelaufen, um die Sache mit ihm zu bereden. ›Ursina‹, hat er gesagt, ›du weißt besser als ich, wer in der Gegend
     einen zweiten Säugling stillen könnte. Das sind Frauensachen. Aber zeig mir das Geld, ich schreibe die Summe auf, damit es
     später unverrückbar klar ist, wie viel die Pflegefamilie bekommen hat.‹«
    Die Posthalterin nahm einen Schluck von dem Most, nachdem sie die tote Fliege herausgefischt hatte. Nika unterbrach sie diesmal
     nicht.
    »Nun, mir fiel nur der Bauer ein, den du nur zu gut kennst. Seine zweite Frau hatte gerade geboren. Sie war noch nicht knapp
     an Milch, weil sie erst das zweite bekommen hatte. Die erste Frau war beim neunten Kind im Kindbett gestorben, sie hatte keine
     Kraft mehr im Leib, wen wundert’s.«
    Die schwere Frau seufzte wieder und verschränkte dieHände unter ihrem Busen, der trotz aller Mühe und Arbeit gar nicht kraftlos, sondern rund und ausladend war wie ein mit Gänsefedern
     prall gefülltes Kissen.
    Nika schwieg noch immer. Sie wollte alles hören, was die Posthalterin wusste, und sie nicht durch einen Einwurf an falscher
     Stelle aus dem Tritt bringen.
    »Da bist du dann hingekommen, noch am selben Abend, hast ja inzwischen geschrien vor Hunger zum Gotterbarmen. So ein kleiner,
     verlassener Wurm. Der Bauer hat das Geld einkassiert, und die Hanni, seine Frau, hat dich in Obhut genommen. Der Reto und
     du, ihr seid miteinander an ihrer Brust aufgewachsen, und damit hatte der Bauer also zwölf Kinder. Aber behandelt hat er dich
     trotz des Geldes immer nur wie ein Verdingkind. Obwohl die neun aus der ersten Ehe es nicht besser und nicht schlechter bei
     ihm hatten als die aus der zweiten Ehe und alle nicht viel besser als du.«
    Nika hatte reglos zugehört. »Und die Dame in der Postkutsche war wirklich meine Mutter?«, fragte sie nach.
    »Felsenfest glaube ich das«, antwortete die Posthalterin.
    »Dann geh ich sie suchen«, sagte Nika entschlossen.
    Die Frau kratzte sich am Kopf. »Unsinn! Da hab ich dir was erzählt! Ich hätte dir gar nichts sagen sollen von der Geschichte.
     Nur weil du so gedrängelt hast, habe ich mich breitschlagen lassen. Du kannst deine Mutter nicht finden. Erstens bist du zu
     jung, gerade mal zwölf, und hast beim Bauern zu bleiben und zu arbeiten. Und zweitens wirst du deine Mutter nie finden.«
    »Und warum nicht?«, fragte Nika heftig.
    »Weil du nicht einmal ihren Namen kennst und auch nicht weißt, wo sie in Italien wohnt und ob sie überhaupt noch lebt. Wo
     willst du sie denn suchen? Und mit welchem Geld?« Die Frau schüttelte den Kopf über so viel Unverstand.
    »Es gibt Dinge«, fuhr sie fort, »an denen kann man nichtrütteln. Die muss man hinnehmen. Du bist ein Kind ohne Mutter und Vater, da beißt die Maus keinen Faden ab. Also frag besser
     nicht mehr. Sei froh, dass du nicht jämmerlich verreckt bist. Und jetzt troll dich.«
    Nika sah trotzig zu Boden.
    »Ich werde sie finden«, sagte sie so ruhig und bestimmt, dass die Posthalterin sie verwundert ansah.
    ***
    Signore Robustelli, dem fast nichts entging, was sich im Hotel und dessen unmittelbarer Umgebung abspielte, schloss das Fenster
     seines Büros. Segantini war also gleich gekommen, um die sonderbare junge Frau zu treffen. Konnte es offenbar gar nicht abwarten,
     sie wiederzusehen. Vielleicht würde er ja noch bei ihm im Büro vorbeikommen   … Robustelli ging zum Schreibtisch und ordnete die Korrespondenz in neue Häufchen. Segantini hätte sich zum Beispiel bedanken
     können, aber der Tag verstrich, ohne dass er sich noch einmal im Hotel zeigte.

Ein Picknick voller Absichten
    Dr.   Bernhard schüttelte den Kopf. Der Bericht des Hausarztes passte nicht so richtig mit seiner Diagnose zusammen. Aber warum
     sollte er dem Kollegen in Zürich misstrauen? Er verschrieb dem Fräulein Mathilde Schobinger, das eigentlich aussah wie das
     blühende Leben, eine nicht zu anstrengende Bäder- und Trinkkur, die Mathilde Zeit lassen würde, den angehenden Sommer zu genießen.
     Falls sie in Zürich an nervöser Erschöpfung und Anämie gelitten haben sollte, würden die kohlensäurehaltigen Quellen von St.
     Moritz Bad ihr guttun. Und ansonsten würde er sie ja noch öfter sehen.
    »Und versuchen Sie nicht, Ihren Appetit aus Eitelkeit zu zügeln«, sagte er zum

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