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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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über einen Unschuldigen verhängt.
    »Es tut mir leid, dass ich Sie so erschrecke. Ich weiß, das ist keine gute Nachricht.«
    »Nein! Weiß Gott! Aber was bedeutet das?«, rief Betsy aus.Dr.   Bernhard, ein vierschrötiger Mann mit freundlicher Seele, der das hektische Rot auf Mathildes Wangen sah, beschloss, jetzt
     nicht allzu lange Erklärungen abzugeben, sondern dafür zu sorgen, dass Mathilde ins Bett kam.
    »Gnädige Frau, ich erkläre Ihnen, was wir medizinisch wissen, in den nächsten Tagen genauer. Jetzt wollen wir zuerst überlegen,
     was sich tun lässt. Das Glück im Unglück ist, dass Sie hier oben für Behandlung und Heilung an einem bestmöglichen Ort sind.
     Höhenluft und Sonne sind genau das, was Ihre Nichte jetzt braucht.«
    Mathilde schien wie aus einem bösen Traum zu erwachen. Immerhin musste sie nicht fort von hier, fort von James. War es das,
     was der Arzt sagte?
    »Aber«, er richtete sich jetzt an Mathilde, »Sie müssen ins Bett, schleunigst! Als Erstes muss das Fieber herunter. Erst dann
     ist wieder an kurze Spaziergänge zu denken, die langsam ausgeweitet werden können.«
    Er lächelte Mathilde an. »Sie werden in einiger Zeit sogar richtige Bergspaziergänge machen können, keine Angst. Ich könnte
     Ihnen jetzt das Frischluftsanatorium in Görbersdorf in Deutschland empfehlen oder Sie an ein Sanatorium in Davos verweisen,
     wo es einige Lungensanatorien gibt.«
    Mathilde zuckte zusammen und hielt Betsys Hand umklammert. Das wollte sie auf gar keinen Fall!
    »Aber ich selbst«, fuhr Bernhard fort, »behandle Patienten mit der Heliotherapie, der heilsamen Kraft der Sonne. Ich habe
     meine Methode zuerst bei schlecht heilenden Operationswunden eingesetzt, aber ich behandle auch chirurgische Tuberkulosen
     damit und verschiedene Formen wie Haut-, Knochen- oder Gelenktuberkulose. Ich könnte Sie also hierbehalten und in meiner Klinik
     in St. Moritz unterbringen, wenn Sie das wollen. Die Luft ist hier ebenso gut wie in Davos   …«
    Mathilde nickte heftig, und Betsy antwortete: »Ja, natürlich, sicher ist das das Beste. Wir werden sowieso eine gewisse Zeit
     brauchen, bis wir verstanden haben, was das alles jetzt bedeutet   … Und wir müssen natürlich mit Mathildes Eltern beraten, wie es weitergehen soll. Sie werden verstehen, dass uns Ihre Diagnose
     wie ein Schlag trifft.«
    »Dann werde ich ein Zimmer in der Klinik bereitmachen lassen«, antwortete Dr.   Bernhard darauf nur. »Morgen kann Ihre Nichte es beziehen.« Er erhob sich, drückte Mathilde mit beiden Händen aufmunternd
     die heiße Hand und geleitete die beiden Frauen aus seinem Sprechzimmer.
    »Sie werden sehen, Fräulein Schobinger, wir päppeln Sie wieder richtig auf. Sechs Mahlzeiten am Tag, ein Glas Rotwein oder
     zwei, am besten Veltliner, der tut besonders gut und wächst gleich in der Nähe, und viel, viel frische Luft auf dem Balkon
     Ihres Zimmers. Die Liegekur wird Sie bald wieder gesund machen, davon bin ich überzeugt.«
     
    »Was hat Dr.   Bernhard damit gemeint, Mathilde, als er sagte du hättest gestern Ausreden gebraucht?« Betsy nahm Mathilde in den Arm. »Du
     musst mir jetzt alles sagen, hörst du? Sonst kann ich dir nicht helfen. Und ich habe das dumpfe Gefühl, es quält dich so einiges.«
    Das Mittagslicht fiel in den Salon der Hotelsuite, sodass Betsys brombeerrotes Kleid warm aufleuchtete. Mathilde, plötzlich
     überwältigt von Gefühlen, schluchzte auf, warf sich in das Brombeerrot und vergrub den Kopf in Betsys Schoß. Sie wurde vom
     Weinen geschüttelt, kleine Schluchzer drängten sich dazwischen, und Betsy, die über das Stakkato dieser bittertraurigen Melodie
     lächeln musste, strich sanft über die blonden Lämmchenlocken.
    »Nun komm«, murmelte sie, »so schlimm, wie es jetzt klingt, kann es gar nicht sein, da bin ich sicher. Wir sind hierbei Dr.   Bernhard in den besten Händen, und für alles andere, was dich bedrückt, finden wir eine Lösung.«
    Aber Mathildes Schluchzen wurde immer heftiger, es steigerte sich, als könne ein altes Elend, das lange zurückgehalten worden
     war, jetzt, zusammen mit dem neuen Elend, endlich hervorbrechen.
    »Ich kann Adrian nicht heiraten«, brachte Mathilde stockend hervor, ohne den Kopf aus Betsys Schoß zu heben.
    »Nun, im Moment würde das auch niemand verlangen.«
    Mathilde hob den Kopf und sagte klar und deutlich: »Ich liebe James.«
    Dann verschwand ihr Gesicht wieder in Betsys Schoß.
    Nach dieser Aussage wurde es still. Das

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