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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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Bernhard einen langen Weg mit ungewissem Ende im Kampf gegen die Schwindsucht vor sich hatte, lag Gian auf Leben und Tod,
     ohne dass ein Arzt ihn behandelte. Benedetta, die es nicht ertragen hätte, ihn zu verlieren, umsorgte ihren Ältesten Tag und
     Nacht. Der Viehdoktor immerhin hatte vorbeigeschaut und Benedetta Hoffnung gemacht. Die Kräuter der Alten aus Stampa zeigten
     Wirkung, und der Tierarzt meinte, alles, was den Kühen guttue, schade auch beim Menschen nicht. Nicht jeder sterbe am Alpenstich.
     Gian sei jung und kräftig und könne schon über den Berg kommen. Und so war es.
    Abends saß Nika bei ihm. Sie hielt seine Hand, und was zuerst wie der ferne Hall einer Halluzination nur nebelhaft zu ihm
     durchgedrungen war, traf ihn, als das Fieber langsam nachließ, zutiefst in seiner Seele. Sie nannte ihn beim Namen. Sie sprach!
     Dann versank er wieder in einen Dämmerzustand, kehrte aber allmählich, im Verlauf weniger Wochen, in die Welt der anderen
     zurück.
     
    Luca kam selten nach Hause. Er lebte, wie die anderen Gleisarbeiter, in einer improvisierten Unterkunft nahe der Baustelle.
     Die meisten der Arbeiter kamen aus Italien. Luca verstand sich gut mit ihnen. Sie hatten selbstbewusste, kämpferische Ansichten
     und hielten zusammen.
    Aldo vermisste seinen Sohn mehr, als Benedetta das tat, aber er sprach nicht darüber. Er war stolz, dass sein Sohn Teil eines
     großartigen Unternehmens war, das die Welt veränderte. Irgendwann würde Luca heimkehren, mit viel Geld und noch mehr Erfahrungen,
     die kein anderer in der Familie bisher hatte machen können. Luca würde die anderen im Dorf zum Staunen bringen und erzählen,
     was es bedeutete, Felsen zu sprengen, Brücken und Tunnel zu bauen.
    Er wusste nicht, dass Luca auch darüber würde berichtenkönnen, wie schnell – so schnell, wie man mit den Fingern schnalzt – ein Leben durch Steinschlag oder einen Sturz vom Brückengerüst
     beendet werden konnte und dass sie immer wieder Kameraden begruben, die jung waren, Frauen, eine Familie hatten. Sie arbeiteten
     sich durch den Berg vorwärts, mit einfachen Hacken traten sie gegen den Fels an, der tückisch war, manchmal bröckelnd lose
     saß. Heiß war es da drinnen, der Schweiß rann ihnen über die verschmutzten Gesichter, oft genug gingen die Petrollampen aus,
     und die Finsternis des Berges ängstigte selbst sie.
    Aldo wusste davon nichts. Wenn Luca eines Tages zurückkam, würde Aldos Ansehen im Dorf jedenfalls steigen. Er erinnerte sich,
     dass der Graf Camille de Renesse ein Bahnprojekt auch für Maloja gehabt hatte, das am Ende jedoch gescheitert war. Wer weiß,
     vielleicht wurde Luca ein wichtiger Mann, der die Idee des Grafen, Maloja mit der Bahn zu erschließen, eines Tages in die
     Tat umsetzte.
    Benedetta dachte mehr darüber nach, wie es mit Gian weitergehen sollte. Konnte man ihn zurück auf die Alp schicken, allein?
     Lieber hätte sie ihn in der Nähe gehabt. Aber Aldo meinte, wenn er nicht für die Kühe tauge, dann tauge er zu gar nichts,
     und auch er müsse seinen Beitrag leisten wie Andrina und Luca.
    Andrina war nicht viel zu Hause, und wenn, dann gab sie mit ihren Erlebnissen im Hotel an.
    »Ihr solltet die Garderoben der Damen sehen«, prahlte sie. »Wenn ich die Zimmer in Ordnung bringe, sehe ich mir die Kleider,
     den Schmuck an, und ihr könnt mir glauben, mir steht das alles mindestens so gut. Und die wechseln nicht nur die Kleider,
     sondern auch die Männer   …«
    »Andrina!«, sagte Benedetta, der das Geschwätz auf die Nerven ging, »plapper doch nicht so dummes Zeug.«
    »Du hast keine Ahnung«, gab Andrina zurück, »das Lebenist nicht überall wie bei dir zu Hause. Ich hab doch selbst gesehen, wie die Signora Simpson, die nur von mir bedient werden
     will, Herrenbesuch hatte.«
    Aldo kaute auf seinem Zahnstocher herum, den er draußen an einem Strauch abgerissen hatte.
    »Und du willst so werden wie die Signora«, sagte er verächtlich, weil ein erzieherischer Einwurf sowieso nichts mehr brachte.
    »Genau«, antwortete Andrina aufsässig. »So reich, so schön und so umschwärmt.« Dann sah sie herausfordernd zu Nika hinüber.
     »Wenn selbst die Straniera hofiert wird von angesehenen Männern im Dorf, sollte das nicht so schwer sein.«
    Nika errötete. Benedetta unterbrach Andrina mit einer heftigen Handbewegung.
    »Was setzt du da für Dummheiten in die Welt?«
    Aber Andrina hatte ihren Trumpf noch nicht ausgespielt.
    »Ich weiß es genau. Von dem alten

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