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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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Gaetano. Der Signore Segantini kommt bei jeder Gelegenheit vorbei. Und das nicht, weil er
     Sehnsucht nach dem Alten hat.« Sie sah Nika kühl an. »Du kannst froh sein, dass Gaetano fast so stumm ist wie du und niemand
     im Dorf glaubt, dass er etwas zu erzählen hätte.«
    »Nun ist es aber genug«, fuhr Aldo dazwischen und stand vom Tisch auf. »Deine Dummheit geht auf keine Kuhhaut.«
    Aber Andrina wusste es besser, dumm war sie nicht.
    ***
    »Aber natürlich gehst du zu dem Abendessen«, sagte Mathilde. »Ob du nun im Hotel oder bei diesem Segantini isst, ich muss
     auf jeden Fall hier in der Klinik bleiben. Wer geht denn mit?«
    Betsy zögerte mit der Antwort, beschloss dann aber, Mathildenichts vorzumachen. »Edward wird mich begleiten. Und James kommt auch mit. Er soll ja einen Bericht über Segantini für eine
     Zeitung machen   …«
    Mathilde presste ihr Taschentuch vor den Mund. Ihr Husten klang erbärmlich. »Glaubst du, dass James mich einmal hier besuchen
     wird?«
    »Aber natürlich wird er das, Tilda. Er hat ja gerade erst erfahren, dass du hier bist. Ein paar Stunden musst du ihm schon
     Zeit lassen!« Betsy schlug einen heiteren Ton an. »Er wird ganz sicher heute Abend nach dir fragen, und dann werde ich ihm
     sagen, dass du ihn schon sehnlichst erwartest   …« Sie hoffte auf Protest, der auch sogleich folgte.
    »Tante Betsy! Kein Wort, verstehst du! Wenn er nicht von allein kommt, will ich ihn nie mehr wiedersehen.« Mathilde sah so
     unglücklich aus bei diesen Worten, dass Betsy nach ihrer Hand griff.
    »Mein Gott, Tilda, Kind, du hast wieder Fieber. Du musst jetzt ganz schnell an etwas anderes denken. Du darfst dich nicht
     aufregen, hörst du? Und glaub mir, James wird dich bald besuchen. Auch wenn ich ihm nicht sage, wie sehr du dir das wünschst.«
     Sie strich Mathilde zärtlich über die Stirn und stand auf.
    Adrian erwähnte sie nicht. Sein letztes Telegramm, so hatte sie beschlossen, sollte wenigstens im Augenblick nicht in Mathildes
     Hände gelangen.

Fragen und vorläufige Lösungen
    »Also dich kann ich nicht als Dolmetscher gebrauchen«, sagte James aggressiv, als er mit Edward nach dem Abendessen bei Segantini
     nach St. Moritz zurückfuhr.
    »Ich habe nie behauptet, du könnest mich gebrauchen«, gab Edward kurz angebunden zurück.
    Der Abend war nicht gerade ein Erfolg gewesen, das Gespräch war nicht recht in Gang gekommen, und dann hatte Betsy das Mädchen
     mit dem rötlichen Haar erwähnt, das sie ein paarmal mit Segantini im Garten des Hotels gesehen hatte. Die harmlose Bemerkung
     hatte Segantini spürbar in Verlegenheit gebracht, und Bice war augenscheinlich überrascht.
    »Betsy fällt als Übersetzerin auch aus«, fuhr James unwirsch fort, »sie hat nicht gerade gepunktet bei Segantini.« Er seufzte.
     »Ich werde auf das Angebot dieses Menschen vom Hotel zurückkommen müssen, mir jemanden zu vermitteln. Morgen rufe ich den
     Mann an. Die Sache eilt.«
    Sie verfielen in Schweigen.
    Nach einer Weile sagte Edward: »Die arme Mathilde. Was für ein Schock. Tuberkulose. Das ist ein halbes Todesurteil! Du warst
     doch mit ihr zusammen, als ich mit Betsy auf der Bergtour war. Hast du da gar nichts bemerkt? Fieber? Eine Schwäche?«
    James schüttelte den Kopf.
    Edward wusste nicht, was an jenem Tag zwischen James und Mathilde vorgefallen war. James war verdächtig vagegeblieben, wo er doch sonst so gern mit seinen Eroberungen prahlte. Sicher war, dass die junge Frau sich ernsthaft in James
     verliebt hatte, und Edward war der Meinung, dass James als der Ältere die Verantwortung zu übernehmen hatte, jedenfalls verlangte
     er das von seinem Freund geradeso, wie Edward es von sich selbst verlangt hätte.
    »Liebst du sie denn?«, fragte er. Immerhin war James ungebunden und hätte sich um Mathilde bemühen können, wenngleich die
     Aussichten, die Zustimmung ihrer Familie zu erhalten, nicht gerade großartig waren. James war nicht vermögend, aber Edward
     hätte jederzeit für ihn gebürgt, wenn sein Glück daran hing.
    »Was du immer alles wissen willst, Eddie, du kennst mich doch, besser als ich mich selbst. Sag du mir, ob ich sie liebe. Hab
     ich überhaupt schon einmal geliebt, so wie du das verstehst? So wie du Emily geliebt hast?«
    Edward gab darauf keine Antwort, weil er nicht gern auf Emily angesprochen wurde. Kaum fiel ihr Name, sah er das sanfte Oval
     ihres Gesichtes vor sich, zu dem ihre immer zum Widerspruch aufgelegten braunen Augen nicht recht passten.

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