Bildnis eines Mädchens
»dass wir uns auf diese Weise trennen.«
***
Der Abend mit Andrina war ein voller Erfolg gewesen, obwohl Achille Robustelli ihr für den Tanzanlass kein Kleid gekauft hatte.
Nicht, weil er geizig gewesen wäre, aber er fand, das hätte ein falsches Zeichen gesetzt. Er wollte Andrina nicht kaufen,
sondern gewinnen und – sie vielleicht in nicht allzu ferner Zeit fragen, ob sie ihn heiraten wolle. Andrina selbst ließ durchblicken,
dass sie an einer ernsthafteren Verbindung interessiert war, und sie war nicht nur temperamentvoll und hübsch, sie war auch
fleißig und hatte einen starken Willen, was Achille gefiel. Es mochte sein, dass sie ein wenig zu ehrgeizig war, aber er hatte
keine Angst vor einer Frau, die wusste, was sie wollte, im Gegenteil. Seine Mutter war immer eine starke Frau gewesen, auch
wenn sie zu Lebzeiten ihres Mannes so getan hatte, als ordne sie sich unter. Achille konnte sich einfach nicht vorstellen,
glücklich zu werden mit einer Frau, die ihn nur anhimmelte und keine eigene Meinung hatte. So wie Bice, die sich völlig hintanstellte
und Segantini maßlos bewunderte.
Segantini war doch ziemlich autoritär, dachte Achille jetzt. Dieser Gedanke war ihm früher nie gekommen, obwohl manch einer,
der im Hause Segantini schon zu Gast gewesen war, davon erzählt hatte. Es war merkwürdig, seit dem kurzen Gespräch über Nika
fand er Segantini – nun – ein wenig selbstherrlich.
Achilles Gedanken kehrten schnell wieder zu Andrina zurück. Sie war ausgesprochen begabt fürs Tanzen, ein großes Plus, wie
Achille befriedigt feststellte. Sie war musikalisch, hatte Feuer und Ausdauer. Und erhitzt wirkte sie sogar noch sinnlicher
als sonst schon.
Achille Robustelli verlor sich in angenehmen Zukunftsfantasien und wurde erst durch das Klopfen an seiner Bürotür wieder in
die Realität zurückgeholt. Er rief ein schwungvolles »Herein« und war überrascht, als nicht Andrina, sondern Fabrizio Bonin
die Tür hinter sich schloss.
»Einen schönen guten Morgen«, sagte Robustelli und erhob sich, um dem jungen Mann entgegenzugehen. »Bitte setzen Sie sich
doch! Ich hoffe, das Gespräch mit Segantini ist auch für Sie interessant gewesen? Jedenfalls möchte ich Ihnen noch einmal
danken, dass Sie als Übersetzer ausgeholfen haben.«
Der junge Bonin hatte das Interview sehr anregend gefunden und sich auf Anhieb vor allem mit James Danby gut verstanden.
»Ich verdanke Ihnen eine nette Bekanntschaft, Signore Robustelli«, erwiderte er. »Mr. Danby und ich haben uns bei der Eröffnung des Palace zufällig wiedergetroffen. Wir haben uns mit dem Grafen Primoli lange
über das Fotografieren unterhalten. James Danby ist Journalist, so wie ich, es gab viele Anknüpfungspunkte, und ich verdanke
Ihnen einen neuen Freund.«
Robustelli freute sich. Er stiftete gern Beziehungen zwischen Menschen. Das Schöne an der Arbeit im Hotel war ja, dass man
mit so vielen verschiedenen Menschen zu tun hatte. Manchmal konnte man etwas dazu beitragen, dass ihre Wege sich kreuzten.
»Ich wollte Sie nun Ihrerseits um etwas bitten, Signore Robustelli«, lächelte Bonin etwas verlegen. »Darf ich Sie fragen,
wer die junge Frau ist, die dem Gärtner hilft? Ich habe sie ein paarmal bei der Arbeit beobachtet. Sie ist sehr scheu und
geht den Gästen aus dem Weg, aber sie scheint mir ein ungewöhnlicher Mensch zu sein. Ich habe nicht gewagt, sie anzusprechen,
obwohl ich schon gesehen habe, dass sie zuweilen mit Segantini spricht. Sie kennt ihn wohl schon länger.«
Achille Robustelli kramte umständlich in seiner Schublade, holte sein silbernes Etui heraus und bot Bonin eine Zigarette an.
Eine schwierige Geschichte war das mit dem Mädchen. Eigentlich sollte er es doch gut finden, wenn sie sich allmählich aus
ihrem Kokon befreite und auch mit anderen Menschenals Segantini in Berührung kam. Trotzdem war er nicht besonders erbaut von dem, was Bonin sagte. War Nika mit der Aufmerksamkeit
eines Hotelgastes tatsächlich gedient? Das war es nicht, befand Signore Robustelli fast grimmig. Es war wieder nur so eine
glücklose Geschichte ohne Zukunft.
Merkwürdigerweise war seine gute Laune plötzlich verflogen, und ganz gegen seine Natur antwortete er unwillig, ja fast unfreundlich:
»Ich habe die junge Frau angestellt, aber wir wissen nicht viel über sie. Sie stammt nicht aus Maloja, zwei Burschen aus dem
Dorf fanden sie verletzt in den Bergen und brachten sie hierher. Wahrscheinlich
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