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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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Moment.
    ***
    »Edward versteht Mathilde viel besser als ich«, sagte James, der mit Betsy in der Halle des Hotel Kursaal Maloja Tee trank.
     Walzerklänge umrahmten seine Worte.
    »Das Trio, das hier nachmittags die Leute unterhalten soll, spielt grauenvoll«, warf Betsy trocken ein. »Seien Sie nicht so
     melancholisch«, fuhr sie dann fort. »Das passt nicht zu Ihnen.«
    »Übrigens, Betsy, Edward schwärmt für Sie in einem Maß, dass ich mir langsam Gedanken mache   …«
    »Ich fühle mich sehr wohl in seiner Anwesenheit«, erwiderte Betsy kurz angebunden.
    »Sie wissen ja, Betsy, mein Freund Eddie und ich sind Konkurrenten, wenn es um Sie geht   …« James setzte sein charmantestes Jungenlächeln auf.
    »Ich habe Sie aber eher wegen Mathilde hergebeten«, sagteBetsy. »Ich möchte ihr größere Verwirrung und unnötige Schmerzen ersparen. Ich weiß nicht, was zwischen Ihnen und Mathilde
     vorgefallen ist, ich weiß nur, dass es etwas ist, das Tilda zusetzt und sie quält. Und nach Kate Simpson zu schließen, die
     mich darauf angesprochen hat, ist das, was geschehen ist, keine Kleinigkeit, sondern kompromittierend für meine Nichte gewesen.
     Ich muss annehmen, dass Sie Mathildes Naivität ausgenutzt haben, auf sehr unschöne Weise. Ich wollte Sie aus zwei Gründen
     sehen. Zum einen frage ich Sie, wie ernst ich den Vorfall zwischen Ihnen und Mathilde nehmen muss, zum anderen verlangt Mathilde,
     Sie zu sehen, und das in dem Moment, in dem ihr Verlobter anreist, der sie seiner Liebe versichert hat, der auch gegen die
     Einwände seiner Eltern zu ihr steht und von Ihrer beider Geschichte nichts weiß. Das erklärt Ihnen vielleicht, warum ich Sie
     so dringend treffen wollte. Ich kann Tilda nicht hindern, Sie zu sehen, und auch nicht, Sie zu lieben. Aber ich appeliere
     jetzt an Ihren Anstand, wenn Sie denn einen haben. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie Tilda darin bestärken, sich ihrem Verlobten
     wieder zuzuwenden. Dass Sie ihr klar machen, dass Sie nichts von ihr wollen, dass Mathilde nichts von Ihnen zu erwarten hat,
     trotz allem, was vorgefallen ist.«
    Das Orchester hatte sich mittlerweile in feurige Zigeunerweisen gestürzt.
    Sieh an, ein Abschiedsgeschenk von Kate, dachte James. Was sie nicht hat, soll auch keine andere haben. Die Folgen der unbedeutenden
     Affäre mit ihr verdrossen ihn immer mehr. »Ich kann Sie beruhigen, Betsy. Ganz unumwunden gesagt, ich habe Ihre Nichte nicht
     entjungfert. Ich bin mir nicht sicher, ob Mathilde sich schlussendlich so sehr dagegen gesträubt hätte, aber ich kann Ihnen
     versichern, so weit ist es nicht gekommen. Was eine Unterredung mit ihr angeht, so lasse ich mich von Ihnen nicht zu bestimmten
     Aussagen verpflichten.«
    »Sie wollen Mathilde also nicht freigeben? Sie wissen doch, wie sehr sich das Mädchen in Sie verliebt hat und dass Sie sie
     nicht glücklich machen werden«, sagte Betsy erregt.
    »Ach, das wissen Sie schon? Mathilde ist eine junge Frau, die schon ganz gut auf eigenen Beinen steht. Wir werden das, was
     wir einander zu sagen haben, auch ohne Mithilfe von außen bewerkstelligen können.«
    James hatte in unerwartet scharfem Ton geantwortet.
    Und alles, dachte Elisabeth Huber, geborene Wohlwend, weil ich einen Tag in die Berge gegangen bin und Mathilde allein gelassen
     habe. Sie war die stellvertretende Mutterschaft leid. Gottseidank hatte sie keine eigenen Kinder. Jetzt gefiel ihr nicht einmal
     mehr James, dem sie sich in den Fantasien, die ihre neue Freiheit betrafen, durchaus angenähert hatte, obwohl natürlich von
     Anfang an alle Vernunft dagegensprach. Vielleicht war es Zeit, allmählich nach Zürich zurückzukehren und sich der Wohltätigkeit
     und dem politischen Kampf für die Witwen- und Waisenrente zu widmen. Aber auch das erschien ihr im Augenblick nicht allzu
     verlockend.
    Überhaupt. Betsy seufzte. Was anfangen mit der großen Unabhängigkeit? Was war schlussendlich eine Frau ohne einen Mann? Die
     Frage war schwieriger zu beantworten, als sie dachte. Ich könnte meinen geistigen Horizont erweitern, mich in ein Fachgebiet
     vertiefen, schlug sie sich selber vor, allerdings ohne rechte Begeisterung. Sie war doch ohnehin schon gebildet. Nun, das
     alles war ein weites Feld.
    Während Betsy sich diesen Gedanken überließ, sah James Danby zum anderen Ende der Halle hin, wo sich gerade die letzten Seufzer
     der Violine im Pianissimo verloren. Er überließ Betsy den letzten Satz in diesem Gespräch.
    »Schade«, sagte sie,

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