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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Cäcilienverein, und es war, als hätte dieser erste Satz, den ich
    ihn sprechen hörte - sechzehn war ich, als Charlotte zwölfjährig starb - , als hätte er mit diesem ersten Satz seine Stimme entdeckt; er sprach mehr, sprach von Pferden und Offizieren, die er haßte, sagte es drohend: ›Wehe euch, wenn ihr mich erster Klasse beerdigen laßt.‹ ›Ja‹, wiederholte die Blonde, ›viel Glück wünsche ich Ihnen.‹ Vielleicht hätte ich die Quittung zurückgeben, das versiegelte Paket, die Zeichenrollen zurückverlangen, heimkehren sollen; die Tochter des Bürgermeisters und Bauunternehmers heiraten, Feuerwehrhäuser bauen, kleine Schulen, Kirchen, Kapellen; auf ländlichen Richtfesten mit der Hausherrin tanzen sollen, während meine Frau mit dem Hausherren tanzte; warum Brehmockel, Grumpeter und Wollersein herausfordern, die großen Koryphäen des Kirchenbaus, warum? Ich fühlte mich frei von Ehrgeiz, Geld lockte mich nicht; ich würde niemals zu hungern brauchen; mit Pfarrer, Apotheker, Wirt und Bürgermeister Skat spielen, an Treibjagden teilnehmen, reichgewordenen Bauern ›was Modernes‹ bauen - aber schon stürzte der Lehrling von der Fensterbank zur Tür, hielt sie mir auf; ich sagte ›Danke‹, ging hinaus, durch den Flur, überquerte die Straße, stieg die Treppe zum Atelier hinauf, stützte meinen Arm auf die Fensterbank, die vom Stampfen der Druckereimaschinen bebte, es war am 30. September 1907, gegen 11.45 Uhr...
    »Ja, Leonore, es ist eine Last mit den Druckereimaschinen; wieviel Tassen sind mir schon zerbrochen, wenn ich nicht darauf achtete. Lassen Sie sich Zeit, nicht so hastig, Kind. Wenn Sie so weiterarbeiten, werden Sie in einer Woche geordnet haben, was ich einundfünfzig Jahre lang nicht ordnen mochte. Nein, danke, für mich keinen Kuchen. Ich darf Sie doch Kind nennen? Sie brauchen über die Schmeicheleien eines alten Mannes nicht zu erröten. Ich bin ein Denkmal, Leonore, und Denkmäler können einem nichts anhaben; ich alter Narr gehe immer noch jeden Morgen ins Cafe Kroner, esse dort meinen
    Paprikakäse, obwohl er mir schon lange nicht mehr schmeckt; ich bin es den Zeitgenossen schuldig, meine Legende nicht zu zerstören; ich werde ein Waisenhaus stiften, vielleicht eine Schule, werde Stipendien aussetzen, und irgendwann und irgendwo werden sie mich bestimmt in Erz gießen und enthüllen; Sie sollen dabeistehen und lachen, Leonore; Sie können so hübsch lachen, wissen Sie das? Ich kann es nicht mehr, ich hab es verlernt und hab doch geglaubt, es wäre eine Waffe; es war keine, war nur eine kleine Täuschung. Wenn Sie Lust haben, werde ich Sie zum Akademikerball mitnehmen, Sie als meine Nichte vorstellen, dort sollen Sie Sekt trinken, tanzen und einen jungen Mann kennenlernen, der gut zu Ihnen ist und Sie liebt; ich werde Ihnen eine hübsche Mitgift stiften - ja, sehen Sie sich das mal in Ruhe an: drei Meter mal zwei Meter, die Gesamtansicht von Sankt Anton; das hängt schon einundfünfzig Jahre hier im Atelier, hing noch da, als die Decke eingestürzt war; daher rühren die paar Stockflecken, die Sie da sehen; es war mein erster großer Auftrag, ein Riesenauftrag, und ich war, kaum dreißig damals, ein gemachter Mann. Und brachte im Jahre 1917 nicht den Mut auf, zu tun, was Johanna an meiner Stelle tat; sie riß Heinrich, der oben auf dem Dach neben der Pergola stand, das Gedicht aus der Hand, das er auswendig lernen sollte; er sagte es mit ernsthafter Kinderstimme:

    Sprach Petrus, der Pförtner am Himmelstor:
    »Ich trage die Sache höheren Orts vor.« Und siehe, nicht lange, da kam er zurück:
    »Exzellenz Blücher, Sie haben Glück! Urlaub auf unbestimmte Zeit«
    (Sprach's und öffnete das Himmelstor weit.)
    »Zieh, alter Feuerkopf, und schlag drein, der alte Gott wird mit Euch sein.«
    Robert war noch nicht zwei und Otto noch nicht geboren; ich hatte Urlaub, war mir längst klar über das, was ich unklar gespürt hatte: daß Ironie nicht ausreichte und nie ausreichen würde, daß sie nur ein Narkotikum für Privilegierte war, und ich hätte tun müssen, was Johanna dann tat; ich hätte in meiner Hauptmannsuniform mit dem Jungen sprechen müssen, aber ich lauschte nur, wie er weiter rezitierte:
    Blücher ist's, der herniederstieg, uns zu führen von Sieg zu Sieg.
    Vorwärts mit Hurra und Hindenburg, Ostpreußens Retter und feste Burg. Solange noch deutsche Wälder stehn, solange noch deutsche Wimpel wehn, solange noch lebt ein deutsches Wort, lebt der Name unsterblich fort.

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