Billard Um Halb Zehn: Roman
Paprikakäse; immer noch gab ich dem Kellnerfünfzig Pfennig Trinkgeld, obwohl er nichts annehmen wollte, darauf bestand, mir ein Honorar zu zahlen für das Haus, das ich ihm entworfen hatte.
Johanna sprach aus, was ich dachte; sie trank keinen Sekt, als wir beim Standortkommandanten eingeladen waren, aß nicht von dem Hasenpfeffer und wies alle Tänzer ab; sie sagte es laut:
›Der kaiserliche Narr...‹, und es war, als bräche da draußen im Kasino an der Wilhelmskuhle die Eiszeit aus; sie wiederholte es in die Stille hinein: ›Der kaiserliche Narr.‹ General, Oberst, Majore waren da, alle mit ihren Frauen, ich als frischbeförderter Oberleutnant, Beauftragter für den Festungsbau; Eiszeit im Kasino an der Wilhelmskuhle; ein kleiner Fähnrich hatte den guten Einfall, die Kapelle zu einem Walzer zu animieren; ich nahm Johannas Arm, brachte sie zur Kutsche; herrliche Herbstnacht; graue Kolonnen marschierten zu Vorstadtbahnhöfen hinaus; keine besonderen Vorkommnisse.
Ehrengericht. Niemand wagte das, was Johanna gesagt hatte, zu wiederholen; Lästerungen dieser Art wurden nicht einmal aktenkundig: Seine Majestät - ein kaiserlicher Narr; das hätte niemand hinzuschreiben gewagt; sie sagten immer nur: ›Das, was Ihre Gattin gesagt hat‹, und ich sagte: ›Das, was meine Frau
gesagt hat‹, und sagte nicht, was ich hätte sagen müssen, daß ich
ihr zustimmte, ich sagte: ›Schwanger, meine Herren, zwei Monate vor der Entbindung; zwei Brüder verloren, Rittmeister Kilb, Fähnrich Kilb, beide am gleichen Tag gefallen; eine kleine Tochter verloren, im Jahre 1909‹ - und wußte doch, daß ich hätte sagen müssen: ich stimmte meiner Frau zu; wußte, daß Ironie nicht ausreichte und nie ausreichen würde.
»Nein, Leonore, packen Sie dieses Paketchen nicht aus; der Inhalt hat nur Gefühlswert, ist leicht und doch kostbar: ein Flaschenkorken. Danke für den Kaffee; bitte stellen Sie die Tasse auf die Fensterbank; ich warte vergebens, warte auf meine Enkelin, die meistens um diese Zeit oben auf dem Dachgarten Schulaufgaben macht; ich vergaß, daß die Ferien noch nicht zu Ende sind; sehen Sie, von hier oben kann man auch mitten in Ihr Büro hineinsehen, auch Sie kann ich von hier oben an Ihrem Schreibtisch sehen, Ihr hübsches Haar.« Warum bebte die Tasse plötzlich, klirrte wie vom Stampfen der Druckereimaschinen; war die Mittagspause zu Ende, wurden Überstunden gemacht, auch am Samstagnachmittag Erbauliches auf weißes Papier gedruckt?
An unendlich vielen Morgen hatte ich das Beben gespürt, wenn ich mit aufgestützten Ellenbogen von hier auf die Straße hinuntersah, auf das blonde Haar, dessen Geruch ich aus der Morgenmesse kannte; allzu kernige Seifen würden das hübsche Haar töten; Biederkeit wurde hier als Parfüm benutzt. Ich ging hinter ihr her, wenn sie nach der Messe um Viertel vor neun an Gretzens Laden vorbei auf das Haus Nummer 8 zuging. Das gelbe, das auf schwarzem Holz die weiße, leicht verwitterte Aufschrift trug: ›Dr. Kilb, Notar‹. Ich beobachtete sie, wenn ich in der Pförtnerloge auf meine Zeitung wartete; Licht fiel auf sie; fiel auf ihr zartes, im Dienst der Gerechtigkeit zerknittertes Gesicht, wenn sie die Bürotür öffnete, die Läden aufstieß, dann die Kombination des Safes einstellte, die Stahltüren öffnete, die sie zu erdrücken schienen; sie prüfte den Inhalt des Safes, und
ich konnte über die schmale Modestgasse hinweg genau in den
Safe hineinsehen, am obersten Fach das säuberlich gemalte Pappschild lesen: ›Projekt Sankt Anton‹. Drei große Pakete lagen dort, mit Siegeln wie mit Wunden bedeckt. Es waren nur drei, und jedes Kind kannte die Namen der Absender: Brehmockel, Grumpeter und Wollersein. Brehmockel, der Erbauer von siebenunddreißig neugotischen Kirchen, siebzehn Kapellen und einundzwanzig Klöstern und Krankenhäusern; Grumpeter, der Erbauer von nur dreiunddreißig neuromanischen Kirchen, nur zwölf Kapellen und achtzehn Krankenhäusern; das dritte Paket stammte von Wollersein, der nur neunzehn Kirchen, nur zwei Kapellen, nur vier Krankenhäuser erbaut, dafür aber einen richtigen Dom aufzuweisen hatte. ›Schon gelesen, Herr Leutnant, was in der Wacht steht?‹ fragte der Portier, und ich las oberhalb des hornigen Portierdaumens die Zeile, die er mir hinhielt: ›Heute letzter Termin für Projekt Sankt Anton. Hat unsere Architektenjugend keinen Mut?‹ Ich lachte, rollte meine Zeitung zusammen, ging zum Frühstück ins Cafe Kroner; es klang schon wie
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