Billard Um Halb Zehn: Roman
aus der Tür, klein war er, zart wie ich, galt nicht nur als unbestechlich, sondern war es auch; trug abgewetzte Breeches, gestopfte Strümpfe; schwärzlich der kahlgeschorene Schädel, ein Lächeln in den Korinthenaugen; Schwebringer vertrat das Geld, verwaltete den Fonds, den die Nation ge gründet hatte; er vertrat die Industriellen und den König, vertrat aber auch den Kaufmannsgehilfen, der einen Zehner, das alte Mütterchen, das
dreißig Pfennig gestiftet hatte; Schwebringer würde die Konten lockern, Schecks ausschreiben, Rechnungen kontrollieren, mit säuerlicher Miene Vorschüsse genehmigen; er war Konvertit, seine geheime architektonische Leidenschaft war das Barock, er liebte schwebende Engel, mit Gold bemalte Chorstühle, geschweifte Predigtstühle, weißlackierte Kanzeln, liebte Weihrauch, den Gesang von Knabenchören. Schwebringer war Macht: ihm gehorchten Bankkonsortien wie Eisenbahnschranken dem Wärter; er regulierte Kurse, befehligte Stahlwerke; mit seinen harten dunklen Korinthenaugen sah er aus, als hätte er vergeblich alle erreichbaren Laxativa ausprobiert und wartete auf die Erfindung des wahren, wirklich helfenden Mittels; er nahm den Cognac, ohne ein Trinkgeld aufs Tablett zu legen; zwei Schritte entfernt nur stand er, sah aus wie ein gescheiterter Berufsradfahrer, mit seinen Breeches, seinen gestopften Strümpfen, blickte plötzlich mich an, lächelte, stellte sein leeres Cognacglas hin und ging in die Niederländerecke, wo auch Hubrich verschwunden war; auch Schwebringer würdigte die drei Gekränkten keines Worts.
Geflüster wurde im Sitzungszimmer vernehmbar, offenbar sprach der Abt auf Gralduke ein; sichtbar waren nur der grüne Tisch, der Aschenbecher, die Wasserkaraffe; die Hinrichtung war verschoben; Streit lag in der Luft; immer noch schien das Richterkollegium uneins zu sein.
Gralduke kam heraus, nahm zwei Gläser von Meesers Tablett, blieb einen Augenblick zögernd stehen, blickte in Krohls Richtung; er war groß, von gewaltigem Ausmaß, korrekter, als die Tränensäcke unter seinen Augen hätten vermuten lassen; Gralduke vertrat das Recht, beobachtete die juristische Korrektheit des Abstimmungsvorgangs, führte Protokoll. Gralduke wäre fast selber Mönch geworden; zwei Jahre lang hatte er gregorianische Liturgie gesungen, die er immer noch liebte; war dann in die Welt zurückgekehrt, um ein bildschönes
Mädchen zu heiraten, dem er fünf bildschöne Töchter zeugte,
thronte jetzt als Oberpräsident über den Landen; er hatte die Grundstücke stiften lassen, Äcker und Wiesen und Wälder in mühseliger Kleinarbeit aus Katasterverstrickungen gelöst; hatte hartnäckige Bürgermeister bearbeitet, hatte Fischrechte in elenden Tümpeln ablösen müssen, Hypotheken versilbern, Banken und Versicherungen beruhigen müssen.
Langsam ging es ins Sitzungszimmer zurück; von der schmalen Abthand wurde Meeser herbeibefohlen, der für eine halbe Minute verschwand, wiedererschien, seine Stimme hob und in den Flur hineinrief: ›Bin beauftragt, den Herren von der Jury mitzuteilen, daß die Pause um ist.‹ Als erster kam Krohl aus der Nazarenerecke zurück, das Ja war von seinem Gesicht schon abzulesen; Schwebringer kam allein als erster aus der Niederländerecke, ging rasch ins Zimmer; Hubrich als letzter, sah bleich aus, zu Tode getroffen, ging kopfschüttelnd an den drei Gekränkten vorüber; Meeser schloß hinter ihm die Tür, blickte auf sein Tablett, auf die neun leeren Cognacgläser, klimperte verächtlich mit der geringen Ausbeute an Trinkgeld, ich ging auf ihn zu, warf ihm einen Taler aufs Tablett: es klang laut und hart, erschrocken blickten die drei Gekränkten auf; Meeser grinste, nahm die Hand dankend an die Mütze, flüsterte:
›Und du bist doch nur der Sohn eines übergeschnappten Küsters.‹
Längst waren draußen keine Droschken mehr zu hören; ›La Traviata‹ hatte begonnen; starr standen die Wärter Spalier, zwischen Legionären und Matronen, zwischen abgebrochenen Tempel-Säulen; Lärm brach in den kalten Abend wie Wärme ein; Presseleute hatten den ersten Wärter überrannt, schon hob der zweite hilflos die Arme, blickte der dritte zu Meeser hin, der in Zischlauten Ruhe gebot; ein junger Journalist, der an Meeser vorbeigewischt war, kam auf mich zu, wischte sich die Nase mit dem Rockärmel ab, sagte leise zu mir: ›Klarer Sieg für Sie.‹ Im Hintergrund warteten zwei würdige Feuilletonredakteure, mit
schwarzen Hüten, bärtig, vom Pathos seelenvoller
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