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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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›Ich erwarte ein Kind.‹ Ich war erschrocken, als sie sagte: ›Der Herr hat mich gesegnet.‹ Ihre Stimme flößte mir Angst ein; verzeih, aber ich habe Sektierer nie gemocht; schwanger war das Mädchen und allein; der Vater verhaftet, der Bruder verschwunden, du weg - und sie hatten sie vierzehn Tage lang gefangengehalten und verhört; nein, sie haben sie nicht angerührt; wie leicht waren die paar Lämmer zerstreut worden, nur ein Lamm war übriggeblieben: Edith; ich nahm sie zu mir. Kinder, eure Torheit ist Gott gewiß wohlgefällig, aber ihr hättet ihn wenigstens umbringen sollen; jetzt ist er Polizeipräsident geworden; Gott schütze uns vor den überlebenden Märtyrern; Turnlehrer, Polizeipräsident, reitet auf seinem weißen Roß durch die Stadt, leitet eigenhändig die Bettlerrazzien; warum habt ihr ihn nicht wenigstens umgebracht; mit Pappe und Pulver allein?
    Knallbonbons töten nicht, Junge; ihr hättet mich fragen sollen: der Tod ist aus Metall; eine Kupferkartusche, Blei, Gußeisen, Metallsplitter bringen den Tod, sie sausen und surren, regnen nachts aufs Dach, prasseln gegen die Pergola; flattern wie wilde Vögel: Wildgänse rauschen durch die Nacht, stürzen sich auf die Lämmer; Edith ist tot; ich hatte sie für verrückt erklären lassen; drei Kapazitäten schrieben mit elegant unleserlicher Schrift auf weiße Bögen mit gewichtigen Briefköpfen; das hat Edith gerettet. Verzeih, daß ich lache: so ein Lamm; mit siebzehn das erste, mit neunzehn das zweite Kind und immer solche Sprüche im Mund: Der Herr hat dies getan, der Herr hat das getan, der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen; der Herr, der Herr! Sie wußte nicht, daß der Herr unser Bruder ist: mit Brüdern kannst du getrost einmal lachen, mit Herren nicht immer; ich wußte gar nicht, daß Wildgänse Lämmer reißen, hielt sie immer für friedliche pflanzenfressende Vögel; Edith lag da, als wäre unser Familienwappen lebendig geworden: ein Lamm, dem der Blutstrahl aus der Brust bricht - aber es standen nicht Märtyrer und Kardinale, Eremiten und Ritter, Heilige um sie herum, sie anzubeten; nur ich; tot. Junge, versuche zu lächeln; ich versuchte es, aber es gelang mir nicht, am wenigsten bei Heinrich; er spielte mit dir, hängte dir Säbel um, setzte dir Helme auf, verwandelte dich in Franzos und Russ und Englishman, dieser stille Junge; und sang: muß haben ein Gewehr, muß haben ein Gewehr, und als er starb, flüsterte er mir das schreckliche Losungs wort zu, den Namen des geheiligten Büffels: ›Hindenburg‹. Er wollte das Gedicht auswendig lernen, war so korrekt und pflichtbewußt, aber ich zerriß den Zettel, streute die Schnippel wie Schneeflocken in die Modestgasse hinunter.
    Trink doch, Robert, der Tee wird kalt, hier sind Zigaretten, und komm näher, ich muß ganz leise sprechen; niemand darf uns hören; am wenigsten Vater; er ist ein Kind, weiß nicht, wie böse die Welt ist, wie wenig reine Herzen es gibt; er hat eins;
    still, keinen Flecken auf dieses reine Herz; hör, du kannst mich erlösen: Ich muß haben ein Gewehr, muß haben ein Gewehr, und du mußt es mir besorgen; vom Dachgarten aus könnte ich ihn gut erschießen; die Pergola hat dreihundertundfünfzig Löcher; wenn er auf seinem weißen Roß daherkommt, am Hotel Prinz Heinrich um die Ecke biegt, kann ich lange und ruhig zielen; tief einatmen muß man dabei; ich hab gelesen, zielen, Druckpunkt nehmen; ich habe es ausprobiert mit Brunos Spazierstock: wenn er um die Ecke biegt, habe ich zweieinhalb Minuten Zeit, aber ob ich den anderen noch erschießen kann, weiß ich nicht; es wird Verwirrung geben, wenn er vom Pferd fällt, und ich werde nicht ein zweites Mal ruhig atmen, zielen und Druckpunkt nehmen können; ich muß mich entscheiden: den Turnlehrer oder diesen Nettlinger; der hat mein Brot gegessen, meinen Tee getrunken, und Vater nannte ihn immer
    ›einen frischen Jungen‹. Sieh nur, wie frisch dieser Junge ist; hat die Lämmer gerissen, dich und Schrella mit der Stacheldrahtpeitsche geschlagen; Ferdi hat einen zu hohen Preis gezahlt für diesen geringen Nutzen: angesengte Turnlehrerfüße, ein zerbrochener Garderobenspiegel; nicht Pulver und Pappe, Junge; Pulver und Metall...
    Hier, Junge, trink doch endlich den Tee; schmeckt er dir nicht? Sind dir die Zigaretten zu trocken? Verzeih, ich hab nie was davon verstanden; hübsch siehst du aus, so als Vierziger mit grauen Schläfen, wie zum Notar geboren; ich muß lachen, wenn ich mir vorstelle, daß du

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