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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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wirklich einmal so aussehen könntest; wie geschickt die Friseure heutzutage doch sind.
    Sei nicht so ernst; es wird vorübergehen, wir werden wieder Ausflüge machen, nach Kisslingen; Großeltern, Kinder, Enkelkinder, die ganze Sippe, dein Sohn wird mit den Händen Forellen zu fangen versuchen; wir werden das herrliche Brot der Mönche essen, ihren Wein trinken, die Vesper hören: Rorate coeli desuper et nubes plurant justum; Advent; Schnee in den
    Bergen, Eis auf den Bächen - such dir die Jahreszeit aus, Junge -
    Advent wird Edith am besten gefallen; sie riecht nach Advent, hat noch nicht begriffen, daß der Herr inzwischen als Bruder angekommen ist; der Gesang der Mönche wird ihr adventistisches Herz erfreuen und die dunkle Kirche, die dein Vater erbaut hat: Sankt Anton im Kissatal, zwischen den Weilern Stehlingers Grotte und Görlingers Stuhl.
    Ich war noch nicht zweiundzwanzig, als die Abtei eingeweiht wurde, hatte noch nicht lange Kabale und Liebe zu Ende gelesen, ein Rest Backfischlachen steckte mir noch im Hals; in meinem grünen Samtkleid, bei Hermine Horuschka gekauft, sah ich aus wie eine, die eben ihre Tanzstunde absolviert hat; nicht mehr Mädchen, noch nicht ganz Frau, sah nicht aus, wie eine, die geheiratet, sondern wie eine, die verführt worden ist; weißer Kragen, schwarzer Hut, ich war schon schwanger und immer den Tränen nahe; der Kardinal flüsterte mir zu: ›Sie hätten daheim bleiben sollen, gnädige Frau, ich hoffe, Sie stehen es durch.‹ Ich stand es durch, ich wollte dabeisein; als sie die Kirchentür öffneten, als die Kirchweihzeremonie begann, hatte ich Angst; er wurde ganz blaß, mein kleiner David, und ich dachte: jetzt ist sein Lachen dahin; sie töten es mit all ihrer Feierlichkeit; er ist zu klein und zu jung dafür, hat zu wenig Männerernst in seinen Muskeln; ich wußte, daß ich süß aussah, mit meinem grünen Kleid, den dunklen Augen und dem schneeweißen Kragen; ich hatte mir vorgenommen, nie zu vergessen, daß alles nur Spiel war. Ich mußte noch lachen, wenn ich daran dachte, wie der Deutschlehrer gesagt hatte: ›Ich prüfe Sie auf eine Eins hin‹, aber ich schaffte die Eins nicht, dachte die ganze Zeit nur an ihn, nannte ihn David, den Kleinen mit der Schleuder, den traurigen Augen und dem Lachen tief drinnen verborgen; ich liebte ihn, wartete jeden Tag auf die Minute, wenn er im großen Atelierfenster sichtbar wurde, blickte ihm nach, wenn er das Druckereitor verließ; ich schlich mich in die Chorprobe des Sängerbundes, beobachtete ihn, ob auch seine Brust sich zu ernsthaftem Männersport hebe und senke, und
    sah's seinem Gesicht an: er gehörte nicht zu ihnen; ich ließ mich von Bruno einschmuggeln, wenn sich der Club der Reserveoffiziere im Prinz Heinrich zum Billardspiel traf, sah ihm zu, wie er die Arme anwinkelte, abwinkelte, weiß über grün, rot über grün stieß, und entdeckte es: das Lachen, tief drinnen verborgen; nein, er hatte nie vom Sakrament des Büffels gekostet, und ich hatte Angst, ob er die letzte, allerletzte und schwierigste Probe bestehen würde: Die Uniformprobe, am Geburtstag des Narren, im Januar, Marsch zum Denkmal an der Brücke, Parade vor dem Hotel, wo der General auf dem Balkon stand; wie würde es aussehen, wenn er da unten vorbeimarschierte, vollgepumpt mit Geschichte und Schicksalsträchtigkeit, während die Pauken und Trommeln dröhnten, die Hörner Attacke bliesen. Ich hatte Angst und fürchtete, er werde komisch aussehen; komisch wollte ich ihn nicht; sie sollten nie über ihn lachen, aber er immer über sie; und ich sah ihn, im Paradeschritt; mein Gott, du hättest ihn sehen sollen: als ginge er mit jedem Schritt über den Kopf eines Kaisers hinweg.
    Später sah ich ihn oft in Uniform; die Zeit wurde an Beförderungen ablesbar; zwei Jahre: Oberleutnant, zwei Jahre: Hauptmann; ich nahm mir seinen Degen und erniedrigte ihn, kratzte damit den Dreck hinter den Lamperien heraus, den Rost von eisernen Gartenbänken, grub damit Löcher für meine Pflänzchen; zum Kartoffelschälen war er zu unhandlich. Degen muß man ablegen und mit den Füßen treten, wie alle Privilegien, Junge; dazu allein sind sie da, sind Bestechungen: Voll ist ihre Rechte von Geschenken. Iß, was alle essen; lies, was alle lesen; trage Kleider, die alle tragen; dann kommst du der Wahrheit am nächsten; Adel verpflichtet, verpflichtet dich dazu, Sägemehl zu essen, wenn alle anderen es essen, den patriotischen Mist in den Lokalzeitungen zu lesen, nicht in den

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