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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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was, wenn's um ernste Dinge geht; ich hatte Dröscher ›Em‹ genannt, das war eine Abkürzung für Emil, die damals als schick galt, und ließ mich nun, dreißig Jahre danach, bei ihm melden, hatte mein graues Kostüm angezogen, den violetten Schleier am grauen Hut, schwarze Schnürschuhe an; er holte mich selbst aus dem Vorzimmer, küßte mir die Hand, sagte: ›Ach, Johanna, sag doch noch mal Em zu mir‹, und ich sagte: ›Em, ich muß wissen, wo der Junge ist. Ihr wißt es doch!‹ Das war, als wenn die Eiszeit ausgebrochen wäre, Robert. Ich sah ihm gleich an, daß er alles wußte, spürte auch, wie er förmlich wurde, ganz spitz; da wurden die wulstigen Rotweintrinkerlippen ganz dünn vor Angst; und er blickte sich um, schüttelte den Kopf, flüsterte mir zu: ›Das war nicht nur verwerflich, was dein Junge getan hat, es war auch politisch sehr unvernünftig.‹ Und ich sagte: ›Wohin politische Vernunft führt, das sehe ich an dir.‹ Ich wollte gehen, aber er hielt mich zurück und sagte: ›Mein Gott, sollen wir uns denn alle aufhängen?‹, und ich sagte: ›Ja, ihr ja.‹ ›Sei doch vernünftig‹, sagte er, ›solche Angelegenheiten sind Sache des Polizeipräsidenten, und du weißt ja, was er dem getan hat.‹ ›Ja‹, sagte ich, ›ich weiß, was er dem getan hat: nichts. Leider nichts. Er hat ihm nur fünf Jahre lang sämtliche Schlagballspiele gewonnen.‹ Da biß sich der Feigling auf die Lippen und sagte:
    ›Sport - mit Sport ist immer was zu machen.‹
    Wir hatten ja damals noch keine Ahnung, Robert, daß eine Handbewegung das Leben kosten kann; Wakiera ließ einen polnischen Kriegsgefangenen zum Tode verurteilen, weil er die Hand gegen ihn erhoben hatte; nur die Hand erhoben, nicht mal zugeschlagen hatte der Gefangene.
    Und dann fand ich eines Morgens auf meinem Frühstücksteller einen Zettel von Otto: ›Ich brauche auch Geld - 12 - ihr könnt es mir bar übergeben.‹ Und ich ging ins Atelier hinüber, nahm zwölftausend Mark aus dem Geldschrank - sie lagen da bereit für den Fall, daß mehr Zettel von dir kämen - und warf Otto den Packen auf den Frühstückstisch; ich wollte schon nach Amsterdam kommen und dir sagen, du solltest keine Zettel mehr schicken: sie kosten jemand das Leben. Aber nun bist du ja hier; ich wäre verrückt geworden, wenn sie dich nicht amnestiert hätten, bleib hier; ist es nicht gleichgültig, wo du lebst, in einer Welt, wo eine Handbewegung dich das Leben kosten kann? Du kennst die Bedingungen, die Dröscher für dich ausgehandelt hat: keine politische Betätigung und nach dem Examen sofort zum Militär; das Abitur nachholen, das hab ich schon vorbereitet, und Klähm, der Statiker will dich prüfen und dir so viele Semester erlassen, wie er eben kann; mußt du unbedingt studieren? Gut, wie du willst - und Statik? Warum? Gut, wie du willst; Edith freut sich. Geh doch zu ihr rauf! Geh doch! Rasch, willst du deinen Sohn nicht sehen? Ich habe ihr dein Zimmer gegeben; sie wartet oben; nun geh doch.«
    Er stieg die Treppen hinauf, an braunen Schränken vorüber, streifte schweigsame Flure, stieg bis unters Dach, wo eine Diele als Vorraum zum Speicher diente; hier roch es nach heimlich gerauchten Wärterzigaretten, nach feuchter Bettwäsche, die auf dem Speicher zum Trocknen hing; erdrückend war die Stille, die durchs Treppenhaus hochstieg wie durch einen Kamin. Er blickte durchs Dachfenster in die Pappelallee, die zur Bushaltestelle führte; saubere Beete, das Treibhaus, der marmorne Springbrunnen, rechts an der Mauer die Kapelle; sah wie ein Idyll aus, war's und roch so; Kühe weideten hinter elektrisch geladenen Zäunen, in Abfällen wühlten Schweine, die selbst wieder Abfälle werden würden, blubbernde Kübel mit fettiger Brühe wurden von einem Wärter in Tröge entleert; die
    Landstraße draußen hinter der Anstaltsmauer schien in eine Unendlichkeit der Stille hineinzuführen.
    Wie oft hatte er hier schon gestanden, auf dieser Station, auf die sie ihn immer wieder schickte, um ihre Erinnerung präzis nachzuvollziehen? Er stand hier als der zweiundzwanzig-jährige Robert, heimgekehrt, zum Schweigen entschlossen; mußte Edith begrüßen und seinen Sohn Joseph; Edith und Joseph waren die Stichworte für die Station; sie waren ihm beide fremd, die Mutter und der Sohn, und sie waren beide verlegen, als er ins Zimmer kam, Edith noch mehr als er; hatten sie sich überhaupt geduzt?
    Sie tischte das Essen auf, als sie nach dem Schlagballspiel zu Schrellas kamen:

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