Billard Um Halb Zehn: Roman
Kartoffeln mit einer undefinierbaren Soße und grünen Salat, schüttete später dünnen Tee auf, und er haßte damals dünnen Tee, hatte so seine Vorstellungen: die Frau, die er heiraten würde, mußte Tee aufschütten können; sie konnte es offenbar nicht, und er wußte doch, als sie die Kartoffeln auf den Tisch stellte, daß er sie ins Gebüsch ziehen würde, wenn sie vom Cafe Zons aus auf dem Heimweg durch den Blessenfelder Park kämen; sie war blond, sah aus wie sechzehn und hatte kein Backfischlachen im Hals; keine falsche Erwartung von Glück in den Augen, die mich sofort aufnahmen; sie sprach das Tischgebet: Herr, Herr!, und er dachte: wir hätten mit den Fingern essen sollen, die Gabel in seiner Hand kam ihm dumm vor, der Löffel fremd, und er begriff zum ersten Mal, was essen ist: gesegnet, den Hunger zu stillen, sonst nichts; nur Könige und Arme essen mit den Fingern. Sie sprachen auch nicht miteinander, als sie durch die Gruffelstraße, durch Blessenfeld, den Park ins Cafe Zons gingen, und er hatte Angst, als er ihr in die Hand schwor, nie vom Sakrament des Büffels zu essen; Torheit; er hatte Angst wie bei einer Weihe, und als sie durch den Park wieder zurückgingen, nahm er Ediths Hand, hielt sie zurück, ließ Schrella vorgehen, sah dessen dunkelgraue
Silhouette im Abendhimmel verschwinden, als er Edith ins
Gebüsch zog; sie wehrte sich nicht und lachte nicht, und ein uraltes Wissen, wie man es machen muß, stieg in seine Hände, füllte seinen Mund und seine Arme; er behielt in Erinnerung nur ihr blondes Haar, das vom Sommerregen glänzte, den Kranz silberner Tropfen an ihren Brauen, wie das Skelett eines zarten Meerestieres, auf rostfarbenem Strand gefunden, die Linien ihres Mundes, zu unzähligen Wölkchen gleichen Ausmaßes vervielfältigt, während sie gegen seine Brust flüsterte: ›Sie werden dich töten!‹ Also hatten sie sich doch geduzt, im Gebüsch, da im Park und am Nachmittag darauf in dem billigen Absteigequartier; er zerrte Edith am Handgelenk neben sich her, ging durch die Stadt wie ein Blinder, folgte einer Wünschelrute, fand instinktiv das richtige Haus, er hatte das Pulver in einem Paket unterm Arm, für Ferdi, den er abends treffen wollte. Er entdeckte, daß sie sogar lächeln konnte, in den Spiegel hinein, den billigsten, den die Kuppelmutter im Einheitspreisladen hatte auftreiben können, lächeln, als auch sie ihr uraltes Wissen entdeckte; und er wußte bereits, daß das kleine Paket mit Pulver auf der Fensterbank da eine Torheit enthielt, die getan werden mußte; Vernunft führte zu nichts in dieser Welt, in der eine Handbewegung das Leben kosten konnte; Ediths Lächeln wirkte auf diesem des Lächelns ungewohnten Gesicht wie ein Wunder, und als sie die Treppe hinunter ins Zimmer der Wirtin gegangen waren, war er erstaunt darüber, wie billig das Zimmer berechnet wurde; er zahlte eins fünfzig, und die Wirtin lehnte die fünfzig Pfennig, die er draufgeben wollte, ab! ›Nein, mein Herr, ich nehme kein Trinkgeld, ich bin eine unabhängige Frau.‹
Er hatte sie also doch geduzt, die da mit dem Kind auf dem Schoß in seinem Zimmer saß; Joseph, er nahm ihn ihr vom Schoß, hielt ihn eine Minute ungeschickt, legte das Kind aufs Bett, und das uralte Wissen füllte ihn wieder, seine Hände, seinen Mund, seine Arme. Sie lernte nie, Tee aufzuschütten, auch später nicht, als sie in einer eigenen Wohnung wohnten; Puppenmöbel, wenn er von der Universität kam, oder in Urlaub:
Unteroffizier bei den Pionieren; ließ sich als Sprengspezialist ausbilden, bildete später selbst Sprengtrupps aus, säte Formeln, die genau das enthielten, was er wünschte: Staub und Trümmer, Rache für Ferdi Progulske, für den Kellner, der Groll hieß, den Jungen, der seine Zettel in den Briefkasten geworfen hatte. Edith mit dem Einkaufsnetz, mit dem Rabattmarkenbuch, Edith, im Kochbuch blätternd; gab dem Jungen die Flasche, legte Ruth an die Brust; junger Vater, junge Mutter; sie kam mit dem Kinderwagen ans Kasernentor, um ihn abzuholen, sie wanderten am Flußufer entlang, über Schlagballwiesen, Fußballwiesen, bei Hoch- und bei Niedrigwasser, saßen auf Kribben, während Joseph im Flußsand spielte, Ruth erste Gehversuche machte; zwei Jahre lang das Spiel gespielt: Ehe; er kam sich nie wie ein Ehemann vor, wenn er auch mehr als siebenhundertmal seine Mütze, seinen Mantel an die Garderobe hängte, den Rock auszog, sich an den Tisch setzte; Joseph auf dem Schoß, während Edith das Tischgebet sprach:
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