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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Ankommender, wer Abfahrender? Warum blieben sie nicht alle zu Hause? Wann fuhr der Zug nach Ostende; oder vielleicht auch Italien, Frankreich; irgend jemand würde auch dort zu lernen begehren: ich lebe, ich lebte, ich habe gelebt; er wird getötet werden; wer wird ihn töten?
    Hotelzimmer? Welche Preislage? Billig? Spürbar ließ die Freundlichkeit der jungen Dame nach, die den hübschen Finger an der Liste entlangführte; offenbar galt es in diesem Lande als
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    Sünde, nach dem Preis zu fragen. Immer das Beste - das Teuerste ist das Billigste; Irrtum, hübsches Kind, das Billige ist das Billigere, tatsächlich, laß nur deinen hübschen Finger bis auf die unterste Stufe der Liste gleiten. ›Pension Modern.‹ Sieben Mark. Ohne Frühstück. Nein danke, ic h kenne den Weg zur Modestgasse, wirklich, ich kenne ihn, Numero Sechzehn, das ist gleich neben dem Tor.
    Als er um die Ecke bog, lief er fast gegen den Keiler, schrak vor der Masse des dunkelgrauen Tieres zurück und wäre fast an Roberts Haus vorbeigegangen; hier war die Erinnerung nicht in Gefahr: nur einmal war er hier gewesen; Modestgasse 8; er blieb vor dem blanken Messingschild stehen, las: ›Dr. Robert Fähmel, Büro für statische Berechnungen, nachmittags geschlossen; er zitterte, als er auf den Klingelknopf drückte: wovon er nicht Zeuge gewesen, was nicht mit Requisiten gespielt worden war, die er kannte, traf ihn heftiger: hinter dieser Tür war Edith gestorben, in diesem Haus waren ihre Kinder geboren, wohnte Robert; am Geräusch der drinnen ertönenden Klingel erkannte er schon, daß niemand öffnen würde, das Geräusch der Klingel drinnen mischte sich mit dem des Telefons, der Boy im Hotel Prinz Heinrich hat sein Wort gehalten; ich werde ihm ein gutes Trinkgeld geben, wenn wir dort Billard spielen.
    Nur vier Häuser weiter die Pension Modern. Endlich daheim; zum Glück kein Essensgeruch in der winzigen Diele. Frische Bettwäsche für ein müdes Haupt. »Ja, danke, ich finde es schon.« »Im zweiten Stock die dritte Tür links, Vorsicht beim Treppensteigen, der Herr, die Teppichstangen sind an einigen Stellen lose, es gibt so wüste Gäste; Sie wollen nicht geweckt werden? Und noch eine Kleinigkeit, bitte; würden Sie im voraus zahlen, oder kommt noch Gepäck? Nein? Also bitte, achtmarkundfünf, einschließlich Bedienung; leider bin ich zu solchen Vorsichtsmaßregeln gezwungen, mein Herr; Sie glauben gar nicht, wieviel Gesindel es auf der Welt gibt; anständigen Menschen muß man dann mißtrauisch kommen, so geht es; und
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    manche bringen es fertig, sich noch die Bettwäsche um den Le ib zu binden, sich aus den Kopfkissenbezügen Taschentücher zurechtzuschneiden; wenn Sie wüßten, was man so alles erlebt; keine Quittung? Desto besser, die Steuer frißt einem sowieso die Haare vom Kopf. Sie erwarten doch sicher Besuch, Ihre Frau, nicht wahr; ich werde sie nach oben schicken, keine Sorge...«
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    Seine Angst war unbegründet gewesen: Erinnerung wurde nicht Gefühl, blieb Formel, rann nicht in Seligkeit oder Trauer auseinander und machte das Herz nicht bang; das Herz war nicht beteiligt: Dort hatte er im Abenddämmer gestanden, zwischen dem Gästehaus und der Abtei, wo jetzt der Haufen violetter, scharf gebrannter Ziegel lag; neben ihm General Otto Kösters, dem sich Schwachsinn in einer einzigen Formel eingeprägt hatte: Schußfeld; Hauptmann Fähmel, Oberleutnant Schrit und die beiden Fähnriche Kanders und Hochbret; mit todernstem Gesicht hatten sie Schußfeld-Otto die Notwendigkeit eingeredet, selbst vor solch ehrwürdigen Gebäuden nicht inkonsequent zu werden; legten andere Offiziere Protest ein, warfen sich tränenselige Mörder ins Zeug für die Kultur, die hier zu retten sei, sprach einer das böse Wort aus: Hochverrat; aber keiner wußte so scharf, so fließend und logisch zu argumentieren wie Schrit, der in eindringlichen Worten dem zögernden General die Notwendigkeit der Sprengung suggerierte: ›Und wäre es nur, um ein Beispiel zu geben, daß wir noch an den Sieg glauben, Herr General, ein solch schmerzliches Opfer würde der Bevölkerung und den Soldaten klarmachen, daß wir noch an den Sieg glaube‹, und schon kam das geflügelte Wort: ›Meine Entscheidung ist gefallen; sprengen Sie, meine Herren. Wenn es um den Sieg geht, dürfen wir selbst unsere geheiligten Kulturgüter nicht schonen; ans Werk denn, meine Herren‹; Hände an die Mützen, Hacken zusammen.
    War er je neunundzwanzig gewesen, je Hauptmann,

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