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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Vernunft entschlossen; sie waren alle dazu verdammt, vom Sakrament des Büffels zu kosten, wie meine Brüder; jung waren sie nur an Jahren, und es gab für sie alle nur eins, das ihnen Glanz versprach, ihnen Größe verleihen, sie in mythischen Dunst hüllen würde: den Tod; Zeit war nur ein Mittel, sie ihm entgegen zu tragen; sie schnupperten danach, und alles, was danach roch, war ihnen gut; sie rochen selbst danach: Verwesung; sie hockte im Haus, in den Augen derer, denen ich vorgeworfen werden sollte: Mützenträger, Gesetzeshüter; nur eins war verboten: leben wollen und spielen. Verstehst du mich, Alter? Spiel galt als Todsünde; nicht Sport, den hätten sie geduldet; das hält lebendig, macht anmutig, hübsch, steigert den Appetit der Wölfe; Puppenstuben: gut; das fördert die hausfraulichen und mütterlichen Instinkte; tanzen: auch gut; das gehört zum Markt; aber wenn ich für mich ganz allein tanzte, im Hemd oben in meinem Zimmer: Sünde, weil es nicht Pflicht war; da konnte ich mich getrost auf Bällen von Mützenträgern betasten lassen, im Dunkel des Flures, durfte sogar im Waldesdunkel nach Landpartien nicht allzu gewagte Zärtlichkeiten dulden; wir sind ja nicht prüde; ich betete um den, der mich erretten, vom Tode im Wolfszwinger erlösen würde, ich betete und nahm das weiße Sakrament drauf und sah dich im Atelierfenster drüben; wenn du wüßtest, wie ich dich liebte, wenn du es ahnen könntest, würdest du nicht die Augen aufschlagen, mir den Kalender entgegenhalten und mir erzählen wollen, wie groß meine Enkel inzwischen geworden sind, daß sie nach mir fragen, mich nicht vergessen haben. Nein, ich will sie nicht sehen; sie lieben mich, ich weiß, und ich weiß, daß es eine Möglichkeit gab, den Mördern zu entrinnen: für verrückt
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    erklärt zu werden; aber wenn es mir wie Gretzens Mutter gegangen wäre, wie? Glück gehabt, reines Glück in dieser Welt, wo eine Handbewegung das Leben kostet, wo es dich retten oder dich umbringen kann, für verrückt erklärt zu werden; ich will die Jahre, die ich verschluckt habe, noch nicht wieder hergeben, will nicht Joseph als Zweiundzwanzigjährigen sehen, mit Mörtelspuren an den Hosenbeinen, Gipsflecken am Rock, einen strahlenden jungen Mann, der den Zollstock schwingt, Zeichenrollen unter dem Arm trägt, ich will nicht die neunzehnjährige Ruth sehen, Kabale und Liebe lesend; schließ die Augen, alter David, klapp den Kalender zu, hier, dein Kaffee. Ich habe wirklich Angst, glaub mir; ich lüge nicht; laß mein Schiffchen schwimmen, sei nicht der mutwillige Knabe, der es zerstört; die Welt ist böse, es gibt so wenig reine Herzen; auch Robert spielt mit, geht gehorsam auf die Stationen, auf die ich ihn schicke: von 1917 bis 1942 - keinen Schritt weiter; aufrecht tut er's, ungebeugt, deutsch; ich weiß, daß er Heimweh hatte, daß ihn das Billardspielen und Formelnpauken in der Fremde nicht glücklich machte; daß er nicht allein um Ediths willen zurückgekommen ist; der ist deutsch, liest Hölderlin, hat nie vom Sakrament des Büffels gekostet, er ist vom Adel, kein Lamm, sondern ein Hirte. Ich hätte nur gerne gewußt, was er im Krieg gemacht hat, aber er spricht nie darüber; ein Architekt, der nie ein Haus gebaut hat, nie Mörtelspuren am Hosenbein, nein, makellos, korrekt, ein Schreibtischarchitekt, den es nicht nach Richtfesten gelüstet. Aber wo ist der andere Sohn: Otto; gefallen bei Kiew, von unserem Fleisch und Blut; wo kam er her, wo ging er hin? Glich er wirklich deinem Vater? Hast du Otto nie mit einem Mädchen gesehen? Ich wüßte so gern etwas über ihn; ich weiß, daß er gern Bier trank, Gurken nicht mochte, und kenne die Bewegungen seiner Hände, wenn er sich kämmte, den Mantel anzog; er verriet uns an die Polizei, ging zum Militär -
    noch bevor er die Schule absolviert hatte, schrieb uns Postkarten von tödlicher Ironie: ›Mir geht es gut, was ich von euch hoffe;
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    brauche 3.‹ Otto, er kam nicht einmal zu den Urlauben nach Hause; wo verbrachte er sie? Welcher Detektiv könnte uns Auskunft darüber geben? Regimentsnummern weiß ich, Feldpostnummern, Dienstgrade: Oberle utnant, Major, Oberstleutnant Fähmel, und als letzten Schlag wieder Ziffern, ein Datum, gefallen 12. 1. 42. Ich sah es mit eigenen Augen, wie er die Leute auf der Straße niederschlug, weil sie die Fahnen nicht grüßten; er erhob seine Hände und schlug sie, hätte auch mich geschlagen, wenn ich nicht rasch in die Krämerzeile eingebogen wäre;

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