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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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sammeln.‹
    Zeitungsverkäufer, Blumenstände. Juge ndliche mit bunten Badetüchern unterm Arm.
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    Schrella ging über den Vorplatz, blieb auf der Verkehrsinsel stehen und studierte die Abfahrtstafel; die Elf fuhr immer noch nach Blessenfeld; dort stand sie, am roten Verkehrslicht zwischen Hotel Prinz Heinrich und dem Chor von Sankt Severin, fuhr an, hielt, leerte sich, und Schrella reihte sich der Schlange der Wartenden ein, die vorn an der Schleuse zu zahlen hatten; er setzte sich, nahm den Hut ab, wischte den Schweiß von den Augenbrauen, trocknete die Brillengläser und wartete, als die Bahn abfuhr, vergeblich auf Gefühle; nichts; als Schuljunge viertausendmal mit der Elf hin- und zurückgefahren; tintenfleckige Finger, das alberne Geschwätz der mitfahrenden Schüler, das ihm immer auf eine schreckliche Weise peinlich gewesen war; Kugelschnitte, Plusquamperfekt, Irrealis, Barbarossas Bart, der immer noch durch den Tisch wuchs; Kabale und Liebe, Livius, Ovid, in grüngraue Pappe gebunden, und je weiter sich die Bahn aus der Stadt entfernte, auf Blessenfeld zu, desto kleinlauter wurde das Geschwätz; schon am Rand der Altstadt stiegen die aus, die ihren Stimmen das sicherste Bildungstimbre zu geben wußten, verteilten sich in breite, dunkle Straßen, in denen solide Häuser standen; am Rande der Neustadt stiegen die aus, deren Stimmen das nächstniedrige Bildungstimbre hatten, verteilten sich in engere Straßen, wo weniger solide Häuser standen; es blieben nur noch zwei oder drei, die bis Blessenfeld mitfuhren, wo die am wenigsten soliden Häuser standen; das Gespräch normalisierte sich, während die Bahn an Schrebergärten und Kiesgruben vorüber auf Blessenfeld zuschaukelte. ›Streikt dein Vater auch?
    Bei Gressigmann geben sie jetzt schon viereinhalb Prozent Rabatt; die Margarine ist um fünf Pfennig billiger geworden.‹
    Der Park, wo das sommerliche Grün längst zertrampelt war, wo ums Planschbecken herum der sandige Boden von Tausenden von Kinderfüßen aufgewühlt war, mit Dreck, Papier und Flaschenscherben vermengt; die Gruffelstraße, wo die Lager der Altwarenhändler sich immer mit Blech und Lumpen, Papier und
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    Flaschen auffüllten, sich in kümmerlicher Armut eine Limonadenbude auftat, in der ein magerer Arbeitsloser sich als Händler versuchte, binnen kurzem fett wurde, sein Bude mit Glas und Chrom auftakelte, blitzende Automaten aufstellte; fraß sich an Pfennigen dick, wurde herrisch und hatte doch vor ein paar Monaten noch untertänig den Preis für eine Limonade notfalls um zwei Pfennig gesenkt, ängstlich flüsternd: ›Sag's nur nicht weiter.‹
    Die Gefühle kamen nicht, während er in der Elf durch die Altstadt, die Neustadt, an Schrebergärten und Kiesgruben vorbei auf Blessenfeld zuschaukelte: viertausendmal gehört die Namen der Stationen: Boissereestraße, Nordpark, Blessischer Bahnhof, Innerer Ring; sie klangen fremd, die Namen, wie aus Träumen, die andere geträumt hatten und vergebens mitzuteilen versuchten, klangen wie Hilferufe aus tiefen Nebelschichten, während die Bahn, fast leer, durch den sonnigen
    Sommernachmittag auf die Endstation zufuhr. Dort, Ecke Parklinie und Innerer Ring, hatte die Bude gestanden, in der seine Mutter sich als Fischbraterin versuchte, aber am mitleidigen Herzen gescheitert war: ›Wie kann ich denn hungrigen Kindern ein Stück gebratenen Fisch verweigern, wenn sie mir beim Braten zuschauen? Wie kann ich das?‹ Und Vater sagte: ›Natürlich kannst du's nicht, aber wir müssen die Bude aufgeben, kein Kredit mehr, Pleite, die Händler liefern nicht.‹ Panierte Fischfilets wurden in heißem Öl gar, während Mutter ein, zwei, drei Löffel Kartoffelsalat auf Pappteller häufte; Mutters Herz war mitleidend nicht fest geblieben; Tränen rannen aus den blauen Augen, Nachbarinnen flüsterten sich zu: die weint sich die Seele aus; aß nicht mehr, trank nicht mehr, ihre durchblutete Rundheit wandelte sich in blutarme Magerkeit; nichts mehr vo n der hübschen Kaltmamsell, die am Bahnhofsbüfett so beliebt gewesen war; flüsterte nur noch Herr, Herr, blätterte in zerfransten Sektierergebetbüchern, die das Ende der Welt verkündeten, während auf der Straße rote Fahnen
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    im staubigen Wind flatterten, andere Hindenburgs Kopf auf Plakaten durch die Straßen trugen; Geschrei, Prügelei, Schüsse; Schalmeien und Trommeln. Als sie starb, sah Mutter aus wie ein Mädchen, blutarm, mager; Reihengrab mit Astern drauf, ein dünnes Holzkreuz: Edith

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