Billard um halbzehn
Frikadellen, Bier, Schnaps, Frikadellen; alles serviert mit diesem Gesicht, in dem Milde und Verbissenheit sich zu etwas Einmaligem mischten; Gesicht eines Träumers, dem es gleichgültig war, ob er im Blesseneck Bier, Schnaps und Frikadellen servierte oder im Prinz Heinrich Hummer und Sekt oder am oberen Hafen übernächtigen Huren Frühstück: Bier, Kotelett, Schokolade und Cherry Brandy; Vater brachte Spuren dieser klebrigen Frühstücke an seinen Manschetten mit, brachte gute Trinkgelder mit, Schokolade und Zigaretten, brachte nicht mit, was andere Väter mitbrachten: Feierabendheiterkeit, die sich in Gebrüll und Zank, in Liebesbeteuerungen und Versöhnungstränen ausmünzen lassen konnte; immer diese
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verbissene Milde im Gesicht, verirrter Engel, der Ferdi unterm Schanktisch verbarg, wo die Hilfspolizei ihn zwischen Bierleitungen herausholte; der immer noch, schon in Todesgewißheit, lächelte; klebriges Zeug wurde aus Manschetten gewaschen, Stärke angerührt, damit das weiße Kellnerhemd steif werde und leuchte; sie holten ihn erst am anderen Morgen, als er mit seinen Butterbroten und den schwarzen Lackschuhen unterm Arm zum Dienst fahren wollte; er bestieg ihr Auto und ward nicht mehr gesehen; kein weißes Kreuz, keine Astern, der Kellner Alfred Schrella. Nicht einmal auf der Flucht erschossen - ward einfach nicht mehr gesehen.
Edith rührte Stärke an, wichste die schwarzen Reserveschuhe, reinigte weiße Krawatten, während ich lernte, spielend lernte, Ovid und Kegelschnitte, Heinrichs des Ersten, Heinrichs des Zweiten Pläne und Taten und Tacitus' und Wilhelms des Ersten, Wilhelms des Zweiten Pläne und Taten; Kleist und sphärische Trigonometrie; begabt, begabt, ganz außerordentlich begabt; Arbeiterkind, hatte das gleiche wie die anderen gegen vieltausendfache Widerstände anzulernen, war außerdem zu edler Tat verschworen und leistete mir sogar noch ein Privatvergnügen: Hölderlin.
Sieben Minuten noch bis zur Abfahrt der nächsten Elf.
Gruffelstraße Numero siebzehn, das Haus neuverputzt, ein parkendes Auto davor: grün; ein Fahrrad: rot; zwei Roller: schmutzig. Achtzehntausendmal auf die Klingel gedrückt, auf den gelblich blassen Messingknopf, der seinem Daumen noch vertraut war; wo früher Schrella gestanden hatte, stand jetzt Tressel; wo früher Schmitz gestanden hatte, stand jetzt Hu-mann; neue Namen, nur einer war geblieben: Fruhl - eine Tasse Zucker geliehen, eine Tasse Mehl, eine Tasse Essig, einen Eierbecher voll Salatöl - wieviel Tassen, wieviel Eierbecher, und zu welch hohem Zinssatz?; Frau Fruhl füllte die Tassen und Eierbecher immer nur halb und machte einen Strich an den Türrahmen, wo sie M, Z, E und Ö stehen hatte, radierte mit dem
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Daumen die Striche erst aus, wenn sie volle Tassen, volle Eierbecher zurückbekam, flüsterte es durch den Hausflur, in Läden und bei Treffen mit Freundinnen, wo bei Eierlikör und Kartoffelsalat Populärgynäkologie getrieben wurde, flüsterte es:
›Mein Gott sind die doof‹; sie hatte früh schon vom Sakrament des Büffels gegessen, ihren Mann und ihre Tochter gezwungen, es einzunehmen, sang es im Flur: Es zittern die morschen Knochen. Nichts, kein Gefühl, nur die Daumenhaut, die auf dem blaßgelben Messingknopf ruhte, empfand etwas wie Rührung.
»Suchen Sie jemand?«
»Ja«, sagte er, »Schrellas, wohnen die nicht mehr hier?«
»Nein«, sagte das Mädchen, »das wüßte ich, wenn die hier wohnten.« Es war rotwangig, lieblich, turnte auf schwankendem Roller, hielt sich an der Hausmauer fest.
»Nein, die haben hier nie gewohnt.« Rannte los, strampelte wild über den Gehsteig, durch die Gosse und schrie: »Kennt hier jemand Schrellas?« Er zitterte, es könnte jemand Ja rufen und er würde hingehen, begrüßen, Erinnerungen austauschen müssen; ja, den Ferdi, den haben sie - deinen Vater, den haben sie - und die Edith, die hat ja fein geheiratet - aber das rotwangige Mädchen rannte ohne Erfolg umher, drehte mit seinem schmutzigen Roller kühne Kurven, von Gruppe zu Gruppe, schrie es in die offenen Fenster hinauf: »Kennt hier jemand Schrellas?« Sie kam mit erhitztem Gesicht zurück, zog eine elegante Schleife, blieb vor ihm stehen: »Nein, Herr, die kennt hier niemand.«
»Danke«, sagte er lächelnd, »magst du einen Groschen?«
»Ja.« Strahlend sauste sie in Richtung Limonadenbude davon.
»Ich habe gesündigt, habe schwer gesündigt«, murmelte er lächelnd, während er zur Endstation zurückging, »ich habe zum Huhn
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