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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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aus dem Hotel Prinz Heinrich Waldmeisterlimonade aus der Gruffelstraße getrunken; ich habe die Erinnerung ruhen lassen, die Eisblumen nicht aufgetaut; in Erika Progulskes
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    Augen wollte ich kein Erkennen aufblitzen sehen, aus ihrem Mund den Namen Ferdi nicht hören; nur die Haut meines Daumens hat Erinnerung zelebriert, hat den Klingelknopf aus blaßgelbem Messing erkannt.«
    Es war wie Spießrutenlaufen zwischen Augenpaaren, die vom Straßenrand, aus Fenstern und Hauseingängen, in sommerlicher Sonne, den Feierabend genießend, ihn genau beobachteten; war keiner darunter, der seine Brille, seinen Gang, das Zusammenkneifen der Augen erkennen würde, unter dem ausländischen Mantel den vielverspotteten Hölderlinleser, dem sie das Spottlied nachgerufen hatten: ›Der Schrella, der Schrella, der Schrella liest Gedichte?‹
    Er wischte sich angstvoll den Schweiß ab, nahm den Hut vom Kopf, blieb stehen und blickte von der Ecke aus in die Gruffelstraße zurück; niemand war ihm gefolgt; junge Burschen saßen auf Motorrädern, halb nach vorn gebeugt, flüsterten jungen Mädchen Liebesversprechen zu; Bierflaschen auf Fensterbänken fingen Nachmittagssonne ein; dort drüben das Haus, in dem der Engel geboren worden war und gewohnt hatte; vielleicht war der Messingknopf noch da, auf dem Ferdis Daume n fünfzehntausendmal geruht hatte; grüne Hausfassade, flimmernde Drogerieauslagen, Zahnpastareklame gleich unterhalb des Fensters, in dem Ferdi so oft gelegen hatte.
    Der Parkweg, von dem weg Robert Edith ins Gebüsch gezogen hatte, an einem Juliabend vor dreiundzwanzig Jahren; jetzt hockten Rentner dort auf Bänken, tauschten Witze aus, schnüffelten an Tabaksorten, beklagten die Unerzogenheit spielender Kinder; gereizte Mütter riefen ein bitteres Schicksal auf ihre ungehorsame Brut herab, beschworen schreckliche Zukunft: Daß dich der Atom hole; Jungen, mit Gebetbüchern unterm Arm, kamen von der Beichte, noch unschlüssig, ob sie den Zustand der Gnade schon jetzt oder erst morgen verlassen sollten.
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    Immer noch eine Minute bis zur Abfahrt der nächsten Elf; schon seit dreißig Jahren liefen die rostigen Schienen in eine leere Zukunft; Ferdis Schwester füllte jetzt grüne Limonade in ein sauberes Glas; der Straßenbahnführer klingelte zum Sammeln; müde Schaffner köpften ihre Zigaretten, rückten ihre Geldtaschen zurecht, stiegen in ihre Schleuse, klingelten Alarm, weil weit hinten, wo die rostigen Schienen endeten, eine alte Frau zum Laufen ansetzte.
    »Zum Hauptbahnhof«, sagte Schrella, »mit Umsteigen zum Hafen.«
    »Fünfundvierzig.«
    Wenig solide Häuser, solidere Häuser, sehr solide Häuser.
    Umsteigen, ja, es ist immer noch die Sechzehn, die zum Hafen fährt.
    Baustoffhandlung, Kohlenlager, Verladerampen, und er konnte es von der Balustrade des alten Wiegehauses aus lesen:
    ›Michaelis, Kohlen, Koks, Briketts.‹
    Nur noch umwenden, zwei Minuten Weg, und er würde Erinnerung vollziehen können; Frau Trischlers Hände würden der Zeit standgehalten haben, wie die Augen des Alten und Alois' Foto an der Wand; Bierflaschen, Zwiebelbündel, Tomaten, Brot und Tabak; ankernde Schiffe, schwankende Stege, über die Segeltuchrollen getragen wurden: riesige Schmetterlingspuppen würden rheinabwärts fahren, den Nebeln der Nordsee zu.
    Stille herrschte hier; frisch war der Kohlenhaufen hinter Michaelis' Zaun, Berge hellroter Ziegel im Baustofflager, schlurfende Nachtwächterschritte hinter Zäunen und Werkbuden machten die Stille noch größer.
    Schrella lächelte, lehnte sich übers rostige Geländer, drehte sich um und erschrak: er hatte von der neuen Brücke nichts gewußt, auch Nettlinger hatte nichts davon gesagt ; sie schob sich breit übers alte Hafenbecken hinüber, die dunkelgrünen
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    Pfeiler standen genau dort, wo Trischlers Haus gewesen war; Brückenschatten bedeckte den Kai vorn, wo das Treidlerhaus gestanden hatte, im Strom rahmten riesige leere Stahltore blaues Nichts ein. In Trischlers Kneipe hatte Vater am liebsten gearbeitet, Schiffer und ihre Frauen bedient, die im Garten auf den roten Stühlen saßen, an langen Sommerabenden, während Alois, Edith und er im alten Hafenbecken angelten. Ewigkeit kindlicher Zeitrechnung, Unendlichkeit, wie er sie nur noch aus Verszeilen kennengelernt hatte; drüben läuteten die Glocken von Sankt Severin, läuteten Frieden und Zuversicht in den Abend, während Edith mit ihren unruhigen Händen den Rhythmus des hüpfenden Schwimmers in die Luft

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