Bille und Zottel 01 - Pferdeliebe auf den ersten Blick
Füßen.
Bille hatte inzwischen eines der Seile herausgesucht und betrachtete prüfend das Heck des Autos. Da unten war der Abschlepphaken. Sie mußte erst einmal den Wagen rückwärts aus dem Graben ziehen. Irgendwie gelang es ihr, das Seil um den Haken zu knoten und an Zottels Geschirr zu befestigen. Von Herrn Lohmeier war nicht allzuviel Hilfe zu erwarten, immerhin schien er allmählich nüchterner zu werden.
„Jetzt kann’s losgehen!“ befahl Bille. „Ich nehme Zottel am Zügel und Sie setzten sich ans Steuer.“
Zottel brauchte sich kaum anzustrengen. Ein kurzer Zug, ein Kratzen und Scharren der Schlehenzweige am Lack der Motorhaube, dann stand der Wagen wieder auf der Straße.
„Ich würde vorschlagen, wir spannen Zottel jetzt vorne davor und er zieht Sie bis auf den Hof. Dann hört und sieht uns keiner.“
Zu zweit spannten sie Zottel um, dann setzte sich Herr Lohmeier wieder hinters Lenkrad. Bille marschierte mit Zottel vorneweg. Mit abgeblendeten Scheinwerfern fuhren sie auf den Hof bis vor die Garage. Niemand war ihnen begegnet.
„Leise!“ mahnte Bille. „Ich bringe Zottel jetzt zurück in den Stall. Aber vorher helfe ich Ihnen noch, den Wagen in die Garage zu schieben, kommen Sie.“
Herr Lohmeier nahm Bille bei den Schultern.
„Mädchen, du bist ein Teufelskerl, das werde ich dir nie vergessen! Und es bleibt ganz bestimmt unter uns?“
„Klar, Herr Lohmeier. Aber ich habe eine Bitte . . .“
„Na?“
„Sie wissen doch, was Zottel gestern angestellt hat. Ich meine, mit dem Kaffeetisch Ihrer Frau . . .“
„Hä?“ machte Herr Lohmeier verständnislos. Dann fiel ihm die Geschichte wieder ein und er brach in wieherndes Gelächter aus.
„Pssst! Nicht so laut! Herr Lohmeier, Zottel hat Ihnen doch heute abend geholfen. Versprechen Sie mir, daß Sie ihn nicht vom Hof verbannen werden? Daß ihm nichts passiert?“
„Warum soll ihm was passieren? Nur über meine Leiche! Ich verrate doch meine besten Freunde nicht!“
Herr Lohmeier öffnete weit die Arme, stürzte an Bille vorbei und landete an Zottels Hals, den er überschwenglich küßte.
Hoffentlich erinnert er sich auch morgen noch daran, dachte Bille besorgt, so richtig nüchtern scheint er mir immer noch nicht zu sein.
„Freunde, ihr könnt euch auf mich verlassen!“ sagte Herr Lohmeier feierlich. „Gute Nacht! Und nochmals Dank!“
Er warf ihnen noch ein paar Kußhände zu, dann schritt er steifbeinig zu seiner Haustür, wo er eine Weile vergeblich versuchte, das Schlüsselloch zu treffen, bis die Tür von innen geöffnet wurde und er fast waagerecht ins Haus stolperte.
Auweia! dachte Bille. In dessen Haut möchte ich jetzt nicht stecken! Hoffentlich ergeht es mir nicht genauso. Ach was, dann muß ich Mutsch eben die ganze Geschichte erzählen. Und Mutsch kann schweigen wie ein Grab, das weiß ich.
Zirkuspferd bleibt Zirkuspferd
Herr Lohmeier hielt sein Versprechen.
Als Bille am nächsten Morgen nach dem Stalldienst zum Frühstück nach Hause radeln wollte, verabschiedete er sich gerade an der Haustür von seiner Frau, um ins Büro hinüberzugehen. Er sah frisch und rosig aus und war heiterster Stimmung.
„Guten Morgen, junge Dame, gut geschlafen?“ rief er Bille zu.
Frau Lohmeiers Gesicht wurde frostig.
„Guten Morgen, Herr Lohmeier - guten Morgen, Frau Lohmeier“, fügte sie rasch hinzu, „danke, ich habe prima geschlafen, und Sie?“ Bille sprang vom Rad und kam abwartend näher.
Herr Lohmeier zwinkerte ihr zu.
Dann wandte er sich an seine Frau. „Ist sie nicht ein Prachtkerl?“ fragte er. „Steht jeden Morgen um fünf Uhr auf, um im Stall zu arbeiten. Und mit Pferden kann sie umgehen, wirklich, da kann man nur staunen! Ihr Pferd ist das gepflegteste im ganzen Stall!“
„ Ihr Pferd? Der Ausdruck ist wohl etwas übertrieben, das Pferd gehört Herrn Tiedjen“, sagte Frau Lohmeier spitz.
„Der hat’s ihr anvertraut. Und er hatte recht damit.“
„Püh . . .“, machte Frau Lohmeier nur.
„Ein intelligentes Kerlchen, dieser Zottel, und ein großartiger Charakter, da gibt’s gar nichts .. .“
Frau Lohmeier lief rot an und wollte etwas sagen, aber Herr Lohmeier ließ sie nicht zu Wort kommen.
„Und wegen des Streichs, den er uns da neulich gespielt hat, wollen wir ihm doch nicht böse sein. Der Verschluß an seiner Box hätte längst repariert werden müssen, Petersen hat mich schon vor Wochen darauf aufmerksam gemacht und ich habe glatt vergessen, dem Stellmacher Bescheid zu sagen. Ich werde
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