Bille und Zottel 01 - Pferdeliebe auf den ersten Blick
haben.
Bille nahm Zaumzeug und Sattel vom Haken und trat zu ihm.
„Komm“, sagte sie, „ich zeig dir einen wunderschönen Morgen.“
Zottel schien das Geheimnisvolle der Unternehmung zu begreifen, als sie aus dem Stall traten, ging er wie auf Zehenspitzen. Bille führte ihn um den Stall herum, erst dann saß sie auf. Im Trab ging es durch den Park hinaus in die Felder.
„Hoffentlich kriegen wir beide keinen Ärger wegen unseres Ausflugs. Aber bis Petersen und Hubert in den Stall kommen, sind wir wieder zurück.“
Bille bog in einen Feldweg ein, der zwischen Knicks hindurch auf eine kleine Anhöhe führte. Oben kam man auf eine Birkenallee, von der aus man weit ins Land schauen konnte.
Bille ließ Zottel eine Weile am langen Zügel im Schritt gehen und atmete tief durch. Ein leichter Wind spielte in den Blättern der Birken und streichelte Bille wie in einer Umarmung. Was für ein Augenblick - man müßte ihn festhalten können! dachte Bille. Die Sorgen des vergangenen Tages wurden klein hinter dem Eindruck dieses Morgens.
Wie hatte sie sich nur so ins Bockshorn jagen lassen können! Irgendeinen Weg mußte es doch geben, sich bei Frau Lohmeier zu entschuldigen und ihren Zorn zu besänftigen! Bille beschloß, all ihr gespartes Taschengeld zu opfern, um für den Schaden aufzukommen. Vielleicht konnte sie für Frau Lohmeier auch irgendwelche Arbeiten erledigen, im Garten helfen oder Botengänge übernehmen.
Bille nahm die Zügel auf und galoppierte an. Darauf schien Zottel nur gewartet zu haben, er legte ein Tempo vor, als hätte er Sprungfedern unter den Hufen. Einen Augenblick lang fürchtete Bille, dieser herrliche Morgen hätte ihn so übermütig gemacht, daß er durchgehen, sie abwerfen und hinausstürmen würde in die Weite der Welt. Aber dieser Schreck dauerte nur eine Sekunde. Dann gab sie sich ganz der Freude an dem scharfen Galopp hin.
Eine Stunde später trabten sie erschöpft und glücklich zum Hof zurück. Bille saß ab und führte Zottel durch die Stallgasse. Karlchen war gerade dabei, Petersen und Hubert in leuchtenden Farben Zottels Streich zu erzählen. Die beiden lachten glucksend und Kopfschüttelnd in sich hinein, auch sie schienen Frau Lohmeier dieses Erlebnis zu gönnen.
„Ihr habt gut lachen“, sagte Bille bedrückt. „Aber was wird aus mir? Das kann ganz schön ins Auge gehen.“
„Ach was, da mach dir man keine Sorgen, mein Deern, irgendwie kommt das schon wieder ins Lot. Kommt Zeit, kommt Rat.“
Mehr wußte ihr der alte Petersen also nicht zu sagen? Und sie hatte so auf einen vernünftigen Vorschlag gehofft. Da blieb also nur noch Onkel Paul.
Heute mußte sie ihn unbedingt noch erwischen, ganz gleich, wie spät er nach Hause kam.
Zunächst einmal ging sie gleich nach dem Frühstück ins Büro hinüber, um sich dem gefürchteten Gespräch mit Herrn Lohmeier zu stellen.
Herr Lohmeier war nicht da. Er wäre auf der Zuchtviehschau, sagte ihr Frau Beck, die nette alte Sekretärin, die schon bei Herrn Tiedjens Vater die Buchhaltung besorgt hatte. Ihre dicken Brillengläser blitzten und gaben ihr einen Ausdruck, als lache sie heimlich. Sie sah Bille prüfend an.
„Was möchtest du denn von Herrn Lohmeier, kann ich ihm was bestellen?“
Sicher hatte sich die Sache schon bis zu ihr herumgesprochen !
„Och . . .“, druckste Bille, „n-nein, ich kann ja dann morgen wiederkommen. Vielen Dank.“
Auf dem Rückweg klingelte sie noch einmal bei Frau Lohmeier. Vielleicht war die jetzt bereit, Billes Entschuldigung anzuhören. Aber Frau Lohmeier dachte nicht daran zu öffnen. Bille war es, als hätte sich die Gardine leise bewegt. In Gedanken sah sie Frau Lohmeier vor sich, mit zusammengekniffenen Lippen und kalten Augen.
„Na dann eben nicht!“ knurrte Bille.
Jetzt blieb wirklich nur noch Onkel Paul als Vermittler. Bille holte sich von Mutsch die Erlaubnis, ihn nach dem Abendbrot noch besuchen zu dürfen. Vorher würde er ja doch nicht da sein.
Bille fuhr die Abkürzung über den alten Heuweg, der hinter Wedenbruck herumführte, eine löchrige, wenig benutzte Schotterstraße, die an beiden Seiten mit Schlehenbüschen gesäumt war. Schon von weitem sah sie, daß Onkel Paul noch nicht zu Hause sein konnte, Tür und Fenster waren verschlossen und Zeitung und Post steckten noch im Briefkasten. Nun gut, dann würde sie eben warten.
Bille zog vorsichtig die Illustrierte aus dem Briefkasten, setzte sich auf die Treppenstufen und begann zu lesen. Als sie ihre Lektüre beendet
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