Bille und Zottel 04 - Applaus fuer Bille und Zottel
angelassen.
Karlchen robbte vorwärts, um besser sehen zu können. Gerade als er hoffte, einen Blick auf das Nummernschild zu erhaschen, wurden die Scheinwerfer eingeschaltet. Karlchen konnte gerade noch rechtzeitig den Kopf zurückziehen und holte sich ein paar schmerzhafte Kratzer.
„Verdammter Mist!“ zischte er. „Kannst du was sehen?“
„Vorsicht!“ keifte die Frau im Wagen. „Setz den Anhänger nicht in den Graben!“
„Ich bin doch kein Anfänger, hab dich nicht immer gleich so“, knurrte eine Männerstimme.
Dann verschwand das Auto vor ihren Augen, wurde geschickt rückwärts auf die Landstraße gelenkt und fuhr mit aufheulendem Motor davon.
„Was immer er da in seinem Anhänger hat, jetzt hat es sich sämtliche Beine gebrochen!“ sagte Bille, wütend über ihren Mißerfolg. „Wir haben es falsch gemacht, wir hätten um Hilfe schreien sollen — oder sie irgendwie erschrecken. Was machen wir nun?“
„Ich nehme an, wir werden zu Hansens gehen und fragen, was sie auf der Koppel hatten.“
„Laß uns doch mal nachschauen. Vielleicht hat er seine Schafe draußengelassen. Sie werden sie ja nicht alle mitgenommen haben. Dann melden wir den Vorfall dem Dorfpolizisten und der kann eine Fahndung nach dem Wagen einleiten.“
Bille und Karlchen krochen aus ihrem Versteck und gingen zum Koppelgatter.
„Kannst du was sehen?“
„Nö, alles leer. Weiß der Teufel, was die da verladen haben.“ Karlchen befühlte die blutende Schramme, die ihm ein Weißdornzweig gerissen hatte.
Da hörten sie das Husten. Ein so klägliches Husten, daß sich Bille sofort das Herz zusammenkrampfte. Mit einem Satz schwang sie sich über das Koppelgatter und ging dem Geräusch nach, die Hände tastend vorgestreckt. Und plötzlich steckten ihre Hände in einer wolligen Mähne, ähnlich der, die Zottel hatte.
„Karlchen, schnell, deine Streichhölzer!“
Bille betastete den Hals, die magere Kruppe, dann fuhr sie dem Tier die Nase entlang, streichelte ihm das Maul.
„Ein Pony, ein Islandpony wahrscheinlich. Ich werd verrückt! Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr...“
Karlchen war herangekommen und riß gleich drei Streichhölzer auf einmal an. Sie flammten nur für einen kurzen
Augenblick auf, aber er genügte, um Bille den Tränen nahezubringen.
„Mein Gott, du siehst ja katastrophal aus, mein armer Kerl! Was haben sie denn bloß mit dir gemacht? Total verwahrlost, abgemagert, die Nüstern voller Schleim - er ist völlig apathisch! Aber was macht er hier auf Hansens Koppel?“
„Ganz einfach: sie haben ihn ausgesetzt.“
„Ausgesetzt? Was meinst du damit?“
„Sie konnten ihn nicht mehr gebrauchen, wahrscheinlich wurde er ihnen zu teuer, seine Pflege zu unbequem, die lieben Kinderchen interessierten sich nicht mehr für das Pony — da haben sie ihn eben abgeschoben.“
„Aber so etwas kann man doch mit einem Pferd nicht machen!“ sagte Bille empört.
„Ich glaube, du liest keine Zeitungen. Wie die Dinge liegen, kann er von Glück sagen, daß er nicht beim Pferdemetzger gelandet ist. Denn da enden viele seiner Kollegen, die leichtsinnige Eltern für ihre Kinder anschaften, und die ihnen dann lästig werden. Erst neulich habe ich einen Artikel darüber gelesen.“
Bille schüttelte sich vor Entsetzen.
„Ich habe schon gehört, daß man Hunde ausgesetzt hat. Das ist schlimm genug. Aber ein Pony...“
„Was machen wir jetzt? Wir können ja nicht ewig hier herumstehen. Oder willst du ihm die ganze Nacht Gesellschaft leisten?“
Karlchen hatte Hunger, und Hunger machte ihn ungeduldig.
„Unsinn. Ich nehme ihn mit, ist doch klar“, sagte Bille bestimmt. „Er braucht dringend Pflege. Zum Glück haben sie ihm wenigstens sein Halfter gelassen.“
„Okay. Zottels Stall ist ja heute nacht frei. Hoffentlich hat er keine ansteckende Krankheit.“
Karlchen öffnete das Gatter und Bille führte ihren neuen Schützling heraus. Das Pony folgte ihr völlig teilnahmslos.
„Mutsch und Onkel Paul werden Augen machen! Hoffentlich frißt er.“
„Wer, Onkel Paul?“
„Quatsch, das Pony. Vielleicht ist es so fertig, daß es gar nichts mehr annehmen mag.“
„Dann gib ihn bei Zottel in die Lehre, damit er sieht, was echte Gefräßigkeit ist.“
„Zottel hat sich sehr gebessert.“
„Hähä — wie sagt man da? Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe.“
Sie waren im Dorf angekommen und bogen auf die Hauptstraße ein.
„Soll ich dich noch bis nach Hause begleiten?“
„Nein, nein,
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