Bille und Zottel 15 - Pferde im Schnee
hab’s ja geahnt!“ Inge sah ihre jüngere Schwester vorwurfsvoll an. „Da hat man dich schon mal da, und nach einer Stunde bist du wieder verschwunden! Ob wir uns vor dem neuen Jahr noch mal sehen?“
„Na, jetzt übertreibst du aber! Wie wär’s, wenn du den Nachmittagsspaziergang mit deinen Kindern mal nach Groß-Willmsdorf verlegen würdest, um mir beim Training zuzuschauen? Wir haben eine gute Tribüne!“
„Und mir den Hintern abfrieren bei der Kälte, nein danke. Einmal und nie wieder. Ich hab’s nicht so mit den Pferden, das weißt du doch. Ich hole dich lieber mal wieder zum Babysitten.“
„Abgemacht.“
Bille gab allen einen Kuß und schlüpfte nach draußen, ehe noch jemand protestieren konnte.
Simon hielt ihr die Wagentür auf. „Na?“
„Was heißt hier ,na‘ ? Kriege ich keinen Adventssonntagsmorgen — pardon, mittagsk . . .?“
Simon unterbrach dieses komplizierte Wort, indem er Bille in die Arme schloß und an sich zog. Für eine ganze Weile hinderte er seine Freundin am Weitersprechen.
„Hatte der die richtige Feiertagsqualität?“ erkundigte er sich, als sich ihre Lippen trennten.
„Absolut entwicklungsfähig. Bei regelmäßigem Training ist mit raschen Fortschritten zu rechnen.“
„Da bin ich beruhigt.“
Simon ließ den Motor an. Sie fuhren die Hauptstraße hinauf und bogen am anderen Ende des Dorfes in die Allee ein, die nach Peershof führte. Der Regen hatte nachgelassen, über ihnen fegte der Wind die Wolken auseinander und ließ hin und wieder einen Sonnenstrahl aufblitzen. Auf dem nassen Asphalt jagten sich die Schatten, abgerissene Aste und Hügel von regenschwerem Laub bedeckten die Fahrbahn. Die Koppeln rechts und links der Straße lagen verlassen, ein Schwarm Krähen ließ sich im Gras nieder, um sich gleich darauf wieder zu erheben und dem Wald zuzufliegen.
„Denen ist es auch zu ungemütlich“, murmelte Bille und lehnte sich an die Schulter ihres Freundes. „Bei so einem Wetter sollte man im Bett bleiben und den ganzen Tag faulenzen.“
„Damit wären unsere Pferde wohl kaum einverstanden. Den ganzen Tag in der Box zu stehen und sich zu langweilen . . .“
Vor ihnen tauchte hinter mächtigen Buchen das dicht mit Efeu bewachsene Peershofer Gutshaus auf. Den strengen Charakter des Hauses milderten die blitzend weißen Fensterläden. Wie immer an Sonntagen war die Einfahrt frisch geharkt. Simon lenkte den Wagen zum Pferdestall hinüber und parkte vor der alten Wagenremise, in der früher die Kutschen ihren Platz gehabt hatten und die der Familie jetzt als Garage diente.
Bille war als erste im Stall. Bettina stand in der Box ihres Fohlens Stella und bearbeitete mit einem Striegel das wollige Fell der nun bald zweijährigen Stute.
„Grüß dich!“ rief sie Bille zu und strich sich eine Strähne aus dem erhitzten Gesicht. „Mann, das ist eine Arbeit! Der Winter hat noch nicht angefangen, und Stella hat einen Pelz, als hätten wir schon zwanzig Grad minus!“
In der Nachbarbox stand Florian, der jüngste der drei Henrich-Brüder, und polierte seiner Stute Florentine den Rücken mit einem weichen Lappen. Dabei flüsterte er ununterbrochen zärtlich auf sie ein.
„Darf man stören?“
„He, Bille! Okay, aber wirbel bloß keinen Staub auf!“
„Es wird sich schon kein Stäubchen auf dein Goldstück verirren.“
„Nicht deswegen. Aber sie hat vorhin gehustet. Ich werde ihr Heu in den nächsten Tagen immer ein bißchen anfeuchten müssen, damit es nicht schlimmer wird.“
„Gehustet!“ Daniel tauchte mit seinem Schimmel Wikinger in der Stallgasse auf und band ihn zum Putzen an. „Sie hat sich geräuspert! Und das auch nur, um dich dezent darauf aufmerksam zu machen, daß du sie zu lange hast warten lassen!“
Florian schnaufte verächtlich. Er war es gewohnt, von den Geschwistern und Freunden wegen seiner abgöttischen Liebe zu Florentine geneckt zu werden. Aber so etwas prallte an ihm ab. Niemand würde je begreifen, was dieses Pferd für ihn bedeutete — nicht einmal Simon und Bille, die ihm damals die Stute von ihrem zusammengesiegten Geld gekauft hatten.
Bille und Simon waren zu den beiden Boxen am Ende des Stalles gegangen und begrüßten nun Simons Stute Pünktchen und gegenüber ihren Sohn Pinocchio, der vor einer Woche in den heimischen Stall zurückgekehrt war. Während Simon zu seiner Fuchsstute in die Box trat und ihr zärtlich die Stirnlocke kraulte, widmete sich Bille dem temperamentvollen Hengstfohlen, das sofort begann, an den
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