Bille und Zottel 16 - Pusztaferien und Ponybriefe
Phantasie.“
„Da, jetzt hat er neue Kunden. Er beschwatzt das alte Ehepaar. Die kommen sicher aus der Provinz, so unsicher wie sie sich umsehen.“
Bille kicherte.
„Die sollten sich ein Beispiel an uns welterfahrenen Großstädtern nehmen! Da, jetzt steigen sie tatsächlich ein. Der wird ihnen schöne Märchen erzählen. Daß sein Großvater schon die Geliebte des Erzherzogs Rudolf gefahren hat, und so einen Käse.“
Simon und Bille ließen den Fiaker an sich vorbeifahren, und tatsächlich spulte der Kutscher gerade seine Story von der Geliebten des Erzherzogs ab.
„Ein Wunder, daß er seinen Fahrgästen nicht noch am Wagenpolster verblichene Spuren der blutigen Tränen zeigt, die die Komtess geweint hat. Komm, laß uns weitergehen“, sagte Bille.
Sie bogen rechts in die nächste Gasse ein und wandten sich dann noch einmal rechts, um zum Heldenplatz zurückzukehren. Die Straßen leerten sich, überall wurden die Geschäfte geschlossen, Rolläden donnerten herunter, Schlüsselbunde klirrten. Nur an einer Baustelle wurde weitergearbeitet, da gab es wohl Überstunden, denn mit leierndem Krächzen und Quietschen drehte sich eine Zementmischmaschine am Straßenrand. Daneben schickte ein Förderband schwappend volle Eimer ins Innere des halbfertigen Hauses. Bille und Simon blieben einen Augenblick stehen und sahen den Männern zu, die die Eimer füllten. Im Hintergrund tauchte, schon auf dem Rückweg seiner Rundfahrt, der Fiaker mit dem alten Ehepaar auf.
Plötzlich knallte dicht neben ihnen etwas, das Bille zunächst für einen Schuß hielt. Auf dem Dach hatte sich ein Brett gelöst und krachte auf den Asphalt. Die Pferde, die sich bereits bis auf wenige Meter genähert hatten, stiegen mit einem Entsetzensschrei steil in die Höhe. Dann stürmten sie los. Simon reagierte sofort.
„Das Gespann geht ihm durch, er kann es nicht zum Stehen bringen!“
Tatsächlich saß der Kutscher kreidebleich und wie gelähmt auf dem Bock. Hinter ihm schrie die Frau, zeterte der Mann: „Anhalten! Anhalten!“ Die Leine war gerissen und schleifte zwischen den von panischer Angst erfüllten Stuten am Boden. Simon hatte sich die Jacke heruntergezerrt und sie Bille zugeworfen, jetzt setzte er mit großen Sprüngen den galoppierenden Pferden nach. Hin und wieder verlangsamten die Stuten ihren Lauf, wenn sie einem Hindernis ausweichen mußten, doch zum Anhalten ließen sie sich nicht bewegen.
Rechts und links der Gasse blieben Fußgänger entsetzt stehen oder flohen angsterfüllt in Hauseingänge. Bille drängte sich an ihnen vorbei und rannte Simon nach. Nur noch wenige Meter, und das Gespann hatte die verkehrsreiche Kreuzung erreicht, ein Zusammenstoß mit einem oder mehreren Autos schien unvermeidlich. Da hatte Simon die rechte Stute erreicht; mit beiden Händen packte er zu und schwang sich auf den Rücken des galoppierenden Pferdes. Dann griff er mit der Linken in den Zügel der anderen Stute und brachte sie zum Stehen, kaum einen Meter vor der Kreuzung.
Schweißnaß und zitternd, die Augen entsetzt geweitet, immer noch röchelnd und angstvoll wiehernd, verharrten die Schimmel an ihrem Platz, während Simon und Bille beruhigend auf sie einsprachen.
„So ist es fein, ganz ruhig. . . ruhig, meine Hübsche, es ist ja nichts passiert. . . es ist alles in Ordnung! Ja, brav, mein Mädchen, ruhig. . . schön ruhig. . .“
Der Kutscher war spurlos verschwunden, bei der ersten Gelegenheit abgesprungen, um sein Leben vor dem erwarteten Zusammenstoß mit den Autos zu retten.
Die Frau saß wie erstarrt da, der Mann schrie nach einem Arzt und warf verzweifelt die Arme in die Luft. Auf der Kreuzung gab es einen Stau, Neugierige drängten heran, schließlich tauchte ein älterer Herr aus der Menge auf, der sich als Arzt vorstellte und sich um das Ehepaar kümmerte. Hilfreiche Hände halfen den beiden aus dem Wagen. Jemand rief nach der Polizei. Hinter dem Wagen hupten ungeduldige Autofahrer.
„Komm“, sagte Simon, „wir bringen die Pferde zu ihrem Stellplatz an der Hofburg zurück, da fühlen sie sich am sichersten. Bestimmt wissen die anderen Kutscher, wo ihr Stall ist.“
Bille und Simon nahmen jeder eine Stute am Kopf und führten sie im Schritt über die Kreuzung in den Innenhof der alten Hofburg. Wie selbstverständlich marschierten die Stuten durch die Tore hindurch zur anderen Seite, dem Heldenplatz, und stellten sich als letzte in die Reihe der wartenden Fiaker.
„Gott sei Dank, einen Schock haben sie nicht, sie sind
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