Bille und Zottel 16 - Pusztaferien und Ponybriefe
ärgern.“
Daß das Glück sich bereits mit großen Schritten näherte, ahnten sie nicht. Es kam auf sie zu in Gestalt eines jungen Mannes mit dunklen Haaren und einem tiefen Grübchen im Kinn. In dem mageren Gesicht fielen die großen grauen Augen auf, von denen eine heitere Gelassenheit ausging. Der Mann näherte sich ihnen rasch, offensichtlich steuerte er eine Tür an, die sich genau in ihrer Höhe befand. Als sein Blick Simon streifte, stutzte er. Dann streckte er ihm strahlend die Hand entgegen.
„Diesen Kollegen kenn ich doch. Servus, Henrich! Meine Gratulation! Ein Teufelsritt war das gestern! Phänomenal!“
Simon starrte den anderen hilflos an.
„Verzeihung, ich. . .“
„Entschuldigung, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Bernd Steiringer. Ich gehör hier zu dem Verein. Aber was denn, ihr wollt’s tatsächlich hier noch anderthalb Stunden Schlange stehen? Dös mach ’ma anders, kommt’s mit. Da habt’s eh keine Chance mehr, so weit hinten wie ihr steht.“
Die Wartenden in der Schlange schauten ihnen neidisch nach, als der junge Mann Bille und Simon vor sich her in den Nebeneingang schob.
„Sie sind. . . du bist Bereiter hier?“ erkundigte sich Bille.
„Naa, noch lang net. Eleve. Aber soweit, euch auf die Zuschauerränge zu bringen, reicht mein Einfluß schon“, erklärte Bernd lachend. „Es spricht hier eh jeder von eurer Heldentat.“
„Heldentat! Nun übertreib nur nicht“, wehrte Simon ab. „Du hättest das auch getan.“
„Vielleicht. Aber wie die Dinge liegen, hab ich bloß zug’schaut. Du warst schneller. Und sicher auch besser.“
„Unsinn. Und woher weißt du meinen Namen?“
„Ich hab gespickt - als der Polizist deine Personalien aufgenommen hat. Auf den geschickten Reiter war ich halt neugierig. Hier geht’s lang. Dort die Treppe rauf, dann seht ihr die Halle schon. Sucht euch den besten Platz aus, bevor die Meute hinaufstürmt. Ciao, ich muß mich beeilen, ich erwart euch später am Stall. Ich bin spät dran, hab verschlafen.“
Simon grinste. „Wem sagst du das! Schönen Dank, Bernd, bis später!“
Bille und Simon stiegen die Treppe bis in den zweiten Stock hinauf und betraten die rund um die Halle laufende Galerie, die durch hohe Mauerbögen in Logen unterteilt war. Durch die großen Fenster strömte das Sonnenlicht. Der festliche Barocksaal verfehlte auch zu dieser Morgenstunde seine Wirkung nicht.
„Wow! Das ist ja wie in der Oper! Sieh dir die Kronleuchter an, das müssen Hunderte von Kerzen sein! Die Stuckverzierungen an der Decke! Die Säulen! So prächtig habe ich mir das nicht vorgestellt. Und alles in Weiß oder hellen Tönen. Märchenhaft!“ begeisterte sich Bille.
„Dort vorn, das ist die Hofloge. Siehst du das Bild darüber? Das ist ein Portrait des kaiserlichen Bauherrn der Reitschule, Karl VI. Traditionsgemäß wird es von den Reitern beim ersten Aufmarsch feierlich gegrüßt.“
„He, du bist ja gebildet! Weißt du auch die genauen Maße der Halle?“ Bille lehnte sich über das Geländer und warf einen Blick auf das gepflegte Viereck.
„Achtzehn mal fünfundfünfzig Meter, ich habe es vorhin im Reiseführer nachgelesen.“
Hinter ihnen klang es wie dumpfes Donnergrollen. Man hatte das Portal für die Zuschauer geöffnet, und nun drängten sie die Treppe hinauf, um sich einen guten Platz zu sichern.
Bald darauf erschienen die ersten Bereiter mit ihren Pferden zur Morgenarbeit. Zunächst kamen die Jüngeren an die Reihe, Nachwuchshengste, deren Fell noch nicht das strahlende Weiß der alten, erfahrenen Stars erreicht hatten . Sie schimmerten in allen Schattierungen eines silbrigen Grau-Weiß bis zu einem tiefdunklen Anthrazit, und Bille ertappte sich bei dem Gedanken, daß diese interessanten Farbschattierungen ihr eigentlich viel besser gefielen, als das blendende Schneeweiß der älteren Hengste. Aber nicht nur Schimmel waren in der Bahn, auch ein Rappe war darunter, ein heller Fuchs und ein Dunkelbrauner.
Die Reiter trugen auch zur Morgenarbeit ihre Uniformen: dunkelbraune Fräcke zu hellen Hosen und den an das 18. Jahrhundert erinnernden Dreispitz. Die Stiefel waren ungewöhnlich hoch geschnitten, sie reichten vorn über das Knie bis zum Oberschenkel hinauf.
„Da ist Bernd! Er reitet den hübschen Silbergrauen mit der dunkleren Mähne.“ Bille versuchte, ihrem neuen Freund zuzuwinken, aber der war so auf die Arbeit mit seinem Pferd konzentriert, daß er alles um sich herum vergessen zu haben schien.
„Schau, der da
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