Billionen Boy
Spite liebte nichts mehr, als Strafen zu verhängen. Einmal hatte sie sogar ein Mädchen dafür bestraft, dass ihr in der Schulmensa eine Erbse auf den Boden gefallen war. »Diese Erbse hätte ein anderes Kind ins Auge treffen können!«, hatte sie geschrien.
Die Schüler der Schule machten sich einen Spaß daraus, Spitznamen für ihre Lehrer zu erfinden. Manche waren nett – andere gemein. Der Französischlehrer Mr Paxton hieß »Tomate«, weil er ein kugelrundes rotes Gesicht hatte. Mr Dust, der Direktorder Schule, hieß »die Schildkröte«, weil er eben wie eine Schildkröte aussah. Er war sehr alt, sehr faltig und bewegte sich ungeheuer langsam voran. Der Konrektor Mr Underhill hieß »Mr Unterarm«, weil er leicht schwitzte, besonders im Sommer. Und Mrs MacDonald, die Biologielehrerin, wurde entweder »die Dame mit dem Bart« genannt oder »der Grüffelo«, weil, na ja, wahrscheinlich ist schon klar, warum …
Miss Spite aber hieß schlicht »die Hexe«. Dies war der einzige Name, der je zu ihr gepasst hatte und er wurde von einer Schülergeneration zur nächsten weitergereicht.
Allerdings schafften alle Kinder, die sie unterrichtete, ihre Prüfungen. Sie hatten viel zu viel Angst, durchzufallen.
»Da wäre noch diese kleine Hausaufgabe von gestern«, verkündete Miss Spite mit hinterhältiger Freude – als hoffte sie geradezu, dass jemand sie vergessen hatte.
Joe fasste in seine Tüte. Mist! Sein Heft war nicht da. Die ganze Nacht hatte er damit verbracht, diesen endlosen 500-Wörter-Aufsatz über irgendeine olle, tote Königin zu schreiben. Aber in der Hektik am Morgen, um rechtzeitig zur Schule zu kommen,hatte er sein Heft wohl auf dem Bett liegen lassen.
Oh nein, dachte er. Oh neinneinneinneinnein!
Joe sah zu Bob hinüber. Aber mehr, als eine mitleidige Miene ziehen, konnte sein Freund auch nicht.
Miss Spite stakste durch das Klassenzimmer – ganz wie ein Tyrannosaurus Rex, der überlegte, welches der kleinen Geschöpfe er zuerst fressen sollte. Zu ihrer offensichtlichen Enttäuschung hielt ein ganzer Schwarm dreckiger kleiner Pfoten die Aufsätze in die Höhe. Miss Spite sammelte die Hefte ein. Bei Spud blieb sie stehen.
»Miss …?«, stammelte er.
»Jaaaa, Spuddddd?«, sagte Miss Spite und zog die Silben so lang wie möglich, um den süßen Moment bis ins letzte auszukosten.
»Ich habe meine Hausaufgabe gemacht, aber ich …«
»O sicher, natürlich hast du deine Aufgaben gemacht«, kicherte die Hexe. Die anderen Kinder – bis auf Bob – kicherten ebenfalls leise. Es gab nichts Schöneres als zuzusehen, wenn jemand in der Patsche saß.
»Ich habe mein Heft vergessen.«
»Du machst Mülldienst!«, zischte die Lehrerin.
»Ungelogen, Miss. Aber mein Vater ist heute zu Hause, ich könnte …«
»Das hätte ich mir ja denken können! Natürlich, dein Vater verdient keinen Penny und lebt von Sozialhilfe und sitzt zu Hause und guckt den ganzen Tag fern – was du in zehn Jahren ganz zweifellos auch tun wirst. Ja …?«
Joe und Bob konnten sich bei diesen Worten nicht verkneifen, einander zuzugrinsen.
»Äh …«, versuchte Joe es noch einmal. »Wenn ich ihn anrufe und ihn bitte, mir das Heft zu bringen, glauben Sie mir dann?«
Miss Spite grinste von einem Ohr zum anderen. Die Sache begann ihr Spaß zu machen.
»Spud, ich gebe dir genau fünfzehn Minuten Zeit, um mir den fraglichen Aufsatz auszuhändigen. Ich hoffe, dein Vater ist schnell.«
»Aber …«, begann Joe.
»Kein ›Aber‹, Freundchen! Du hast fünfzehn Minuten!«
»Gut. Vielen Dank, Miss«, sagte Joe sarkastisch.
»Keine Ursache«, antwortete die Hexe. »Ich halte es für wichtig, dass jeder Schüler, den ich unterrichte, eine faire Chance bekommt, seine Fehler gutzumachen.«
Sie wandte sich an den Rest der Klasse. »Alle anderen können gehen«, sagte sie.
Die Schüler strömten auf den Flur hinaus. Miss Spite blickte ihnen hinterher und kreischte: »Gehen – nicht laufen!«
Und noch ein paar Lieblingssprüche konnte Miss Spite sich nicht verkneifen. Sie war die Königin der Phrasen. Und in diesem Moment ging es einfach mit ihr durch.
»Darüber brauchen wir gar nicht zu diskutieren!«, rief sie der Klasse etwas wahllos hinterher. Jetzt kam sie richtig in Fahrt. »Isst du etwa?«, brüllte sie über den Flur, wo gerade der Schulrat vorüberkam.
»Fünfzehn Minuten, Miss?«, fragte Joe.
Miss Spite sah auf ihre kleine antike Uhr. »Vierzehn Minuten, einundfünfzig Sekunden, um genau zu sein.«
Joe schluckte
Weitere Kostenlose Bücher