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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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Dazu hatte er den Namen eines Hotels auf einen Zettel geschrieben, aber die Antwort erhalten, dieses gebe es schon seit einer Reihe von Jahren nicht 497

    mehr. Nun gut, die Via Donatello sei ja wohl noch nicht verschwunden, oder? Wenn er ihn dorthin bringe, würde er seinen weiteren Weg schon finden.
    Der Fahrer setzte sie im Herzen eines ruhigen, gepflegten Viertels ab. In der schon vor Wärme vibrierenden Morgenluft hörte man Glocken. Kleine Gruppen von Gläubigen strebten einer alten Kirche zu, die eingerüstet war.
    Der alte Herr und seine Enkelin gingen in der Gegenrichtung davon, in gebührendem Abstand folgte ihnen ein Leibwächter. Alsbald kamen sie auf einen malerischen kleinen Platz mit einem hübschen Brunnen in seiner Mitte.
    »Hier sind wir«, murmelte der Richter erleichtert. »Ich hatte schon gefürchtet… Aber nein, es ist unglaublich: Nicht das Geringste hat sich verändert!«
    Mit einer Handbewegung forderte er das Mädchen auf, sich neben ihn auf eine alte Steinbank zu setzen, die an einer Wand stand, die mit kleinen Marmortafeln bedeckt war: alte Votivtafeln, welche durch Witterung und Moos nur noch teilweise lesbar waren.
    »Zum ersten Mal bin ich in Rom auf meiner Hochzeitsreise gewesen«, sagte er, ohne seine Rührung zu verbergen. »Im Laufe eines Spaziergangs hat sich Gwen hingesetzt, genau da, wo du jetzt sitzt.
    Und sie hat mir verkündet, dass sie schwanger sei…«
    »Du sagst das, als ob es eine Überraschung für dich gewesen sei!«
    »Nun ja, wir hatten nicht so ganz abgewartet«, räumte er mit einem kleinen versonnenen Lächeln ein, das zu seinem ernsten Gesicht fast etwas in Widerspruch stand. »Nach der Rückkehr ins Hotel haben wir uns dann auf die Vornamen geeinigt: Kiersten für ein Mädchen, Victor für einen Jungen …«
    Sandrine hatte ein Gefühl des Unwirklichen bei dem Gedanken daran, dass hier auf dieser Bank eine ihr ganz unbekannte Frau ihrem jungen Ehemann ein Geheimnis anvertraut hatte, das auf mysteriöse Weise über die Zeit hinweg mit ihrem eigenen Schicksal ver-498

    bunden war.
    »Hättest du lieber einen Sohn bekommen?«
    Sandrine hatte ihre Frage ohne jeden Hintergedanken gestellt.
    Dem nun eintretenden Schweigen konnte sie allerdings schon entnehmen, dass sie wohl eine andere Antwort erhalten würde, als sie eigentlich erwartet hatte.
    »Ich hätte schon gerne einen Sohn gehabt, das stimmt. Deine Frage trifft es also zwar nicht ganz, aber im Kern ist sie richtig: Ich wäre wohl sicher für einen Sohn ein besserer Vater gewesen …«
    »Das ist das erste Mal, dass du mir wirklich aus deiner Vergangenheit erzählst… Jetzt verstehe ich auch, warum Gabriella nicht mit-kommen sollte.«
    »Ja, ich wollte dich tatsächlich für mich alleine haben. Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren, Sandrine. Es war schrecklich für mich, so lange warten zu müssen … Nichts zu wissen, nichts tun zu können trotz der Stellung, in der man ist… Welche Qual, und auch welche Lektion! Unter all den Gedanken, die mich Umtrieben, ist es besonders einer … Ach, wie soll man das in einfachen Worten ausdrücken? Ich habe mir gesagt, dass du eigentlich kaum etwas weißt von mir, von mir als Mensch, von meiner Tätigkeit, meinen Überzeugungen …«
    »Wenn du mir früher davon erzählt hättest, hätte ich das wahrscheinlich noch gar nicht verstanden«, versicherte sie, ihm ins Gesicht schauend. »Heute ist das anders. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich verändert habe.«
    »Sie hat die gleichen Augen wie Gwendolyn«, dachte der Richter.
    Um seine Hände zu beschäftigen, holte er die Pfeife und seinen Tabaksbeutel hervor.
    »Da täuschst du dich aber! Das fiel mir sofort auf, im ersten Moment, als ich dich hier sah! Wolltest du mehr darüber erzählen?«
    »Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen sol … Bisher habe ich mich für den Nabel der Welt gehalten und hatte zu allem eine feste Mei-499

    nung. Ich wusste nicht einmal, dass ich eigentlich gar nichts wusste.
    Und jetzt habe ich den entmutigenden Eindruck, dass ich meine Zeit vergeudet habe… Kannst du das verstehen?«
    Der Daumen MacMillans, der den Tabak in den Pfeifenkopf drückte, verharrte für einen Augenblick regungslos.
    »Ich denke schon. Nur dass in meinem Alter eine Bilanz der ver-lorenen Zeit noch weit gewichtiger ist als in deinem … Und was ge-denkst du zu tun, um diese Zeit wieder einzuholen?«
    »Ich werde wieder bei Null anfangen! Nun ja, ein bisschen komplizierter ist es schon. Sieh mal,

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