Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
Schritte im Halbdunkel des Flurs. Die Geräusche waren nun besser für sie hörbar, und sie waren eindeutig: lautes, heftiges Stöhnen. Laurence begriff rasch ihren Irrtum.
Risse, nach außen hin noch verborgen, in dieser ›Ehe des Jahres‹
hatte sie ohnehin schon vermutet. Daher war sie nicht sonderlich überrascht, dass sich die stürmische Gattin offenbar einen Liebhaber für eine Nacht ins Bett geholt hatte. Sie blieb fröstelnd in der Dunkelheit stehen. Aus den Lustschreien, die Catherine unbekümmert um Nachbarn von sich gab, hörte Laurence ungezügelte Gier und keuchendes Verlangen nach bisher entgangener Befriedigung heraus. Eine männliche Stimme stieß einen Schmerzensschrei aus, vielleicht ausgelöst durch einen Biss wilder Leidenschaft, und ging dann über zu obszönen Bemerkungen, welche die Vereinigung der 65
beiden begleiteten.
Mit trockenem Mund und schweißfeuchtem Körper kroch Laurence wieder in ihr Bett.
Die erneut herrschende nächtliche Stille weckte ihre Erinnerungen. Sie beneidete Catherine in doppelter Hinsicht: Weil diese sich derart hingeben konnte, und weil sie sich diesen Genuss so unbekümmert verschaffen konnte.
Als Laurence damals von Oberst Sheba in dessen Quartier gerufen worden war, um dort seinem Vergnügen zu dienen, hatte sie sich noch mehr als von dessen teilnahmslosem Blick dadurch er-niedrigt gefühlt, dass sie selbst den empfundenen Genuss nicht verbergen konnte. Sie hatte sich mit all ihren Kräften dazu gezwungen, nichts vom wiederholten Verrat ihres Körpers spüren zu lassen. Sie hatte versucht, jeden Seufzer der Lust zu unterdrücken und mit schmerzlicher Miene so zu tun, als empfinde sie Widerwillen anstatt der tatsächlichen Befriedigung. Ihre unsinnigen Bemühungen dienten allein der Aufrechterhaltung ihrer Selbstachtung, denn sie hatte zu ihrer größten Enttäuschung rasch feststellen müssen, dass dieser Mann, der sie missbrauchte, nicht das mindeste Interesse zeigte an dem, was sie zeigte oder verbarg, sagte oder verschwieg.
Für ihn war sie ein Nichts, und ihre einzige Chance, das alles zu überstehen, war, jemand, zumindest für sich selbst, zu bleiben.
Laurence erwachte kurz vor neun. Ein schmaler Streifen Sonnenlicht lief von der Spalte zwischen den schweren Vorhängen auf ihr Bett zu. Er hatte etwas Beruhigendes für sie. Auf dem Flur begegnete sie einem jungen Mann, der sich verlegen die Hand vor eine Wange hielt, ehe er durch den Dienstboteneingang entschlüpfte.
Sie hatte aber noch einen dreistreifigen Kratzer erkennen können.
Catherine kam herein, als Laurence gerade ihr Frühstück beendet hatte, ließ sich auf einen Hocker fallen und bat um eine Tasse 66
schwarzen Kaffees. Sie hatte Ringe unter den Augen und war krei-debleich.
Es fiel Laurence schwer, sich vorzustellen, dass innerhalb von ein paar Stunden aus der Person, die ihr da gegenübersaß, jene verfüh-rerische und geistreiche Ansagerin werden sollte, die am abendli-chen Fernsehschirm die Zuschauer begeisterte. Sie nahm die Kaffee-kanne vom Stövchen und goss zwei Tassen voll. Catherine tätschelte ihr den Arm, bedankte sich und versicherte ihr, dass sie sie na-türlich keineswegs als ihr Dienstmädchen betrachtete.
Zum allerersten Mal lächelte Laurence sie an. Im Gegensatz zum Vorabend hatte sie jetzt das Gefühl, es könne sich eine echte Beziehung zwischen ihnen entwickeln. Wie um diesen Eindruck zu bestätigen, vertraute ihr Catherine mit einem leisen Lachen, das fast wie ein Schluchzen klang, an: »Ja, so ist das eben!« Mit dieser beiläufigen Bemerkung räumte sie das Geschehnis dieser Nacht ein, deutete an, dass ihr durchaus bewusst war, dass Laurence wohl die damit verbundenen Laute gehört habe, und schlug ihr zugleich ein komplizinnenhaftes Bündnis des Schweigens vor …
Ein Weilchen saßen sie sich wortlos gegenüber. Catherine stützte die Ellbogen auf das Tischchen und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Laurence genoss diesen Augenblick und blieb still sitzen, um ihn zu verlängern.
»Worüber will ich mich denn beklagen?«, begann Catherine schließlich, nachdem sie mit einem glucksenden Laut einen Schluck Kaffee genommen hatte. »Wenn ich demgegenüber an das denke, was Sie durchgemacht haben …«
Laurence zuckte nur schweigend mit den Schultern. Dabei hätte sie schon recht gerne gewusst, was man sich wohl hinter ihrem Rücken über die Umstände ihrer Gefangenschaft in Maghrabi so er-zählte. Sie hatte sich darüber noch niemandem gegenüber offen
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