Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
ehrlich darüber gefreut. Schon vor ihrer Befreiung war ihr klar geworden, dass es zu einer Neubelebung ihrer Liebesbeziehung nicht kommen würde. Auch wenn sie während ihrer Gefangenschaft noch eine Zeit lang den Gedanken daran aufrechterhalten hatte, galt das für ihn sicher nicht. Dennoch trauerte sie ein wenig um diesen Jean-Louis, wie sie ihn damals gekannt hatte: großsprecherisch, egoistisch und launisch, und dennoch eine Art von begabtem, vielleicht zu sehr begabtem netten kleinen Jungen, den man gern haben musste. Er hatte ihr in kurzen Worten von seiner Tätigkeit im Rahmen der Universellen Vereinigungskirche berichtet. Entgegen ihrer Annahme aufgrund dessen, was Antoine Becker ihr erzählt hatte, stand diese nicht in Verbindung mit Harmonices Mundi. Ihr Gespräch hatte mit einer Unsicherheit geendet. Jean-Louis hatte ihr nämlich versprochen, dass, falls sie irgendwelche Schwierigkeiten hätte, sie immer mit seiner Hilfe rechnen könnte. Das mochte vielleicht eine Floskel sein, aber sie konnte sich mit einer gewissen Beunruhigung nicht gegen den Eindruck wehren, dass er bestimmte Dinge, die sie betrafen, verschwieg und ihr mit dieser Formulierung eine verhüllte Warnung zukommen lassen wollte. Aber vor was oder vor wem?
Ihre überstürzte Rückkehr nach Paris wurde, neben anderen Gründen, auch veranlasst durch die Feststellung, dass selbst der alte Familiengasthof, den sie selbst immer als die sicherste aller Zu-fluchtsstätten betrachtet hatte, ihr keinen Schutz vor den sie ver-folgenden Dämonen bieten konnte. Mehrfach hatte sie, sowohl al ein in ihrer kleinen Mansarde als auch sogar in Gesellschaft ihrer 63
Eltern, ein lautes Knacken hochfahren lassen. Dann traten vor ihren Augen Risse auf, teils in Deckenbalken, teils in den mindestens hundertjährigen Platten eines Bodenbelags. Zweimal war Laurence ohnmächtig geworden.
Gleich nach ihrer Ankunft in Paris ließ sie sich von einem Taxi in die Avenue Bosquet zur großzügig angelegten Wohnung der Beckers fahren, wo man sie auch im Anschluss an die dramatische Pressekonferenz untergebracht hatte.
Catherine Le Gendre erwartete sie schon und teilte ihr als Erstes mit, dass ihr Mann zur Zeit in Algier sei, wegen geheimer Vermittlungen zwischen der Regierung und der Islamischen Heilsfront. Die Anregung dazu sei von Harmonices Mundi ausgegangen, es erfolge eine verdeckte Finanzierung durch das französische Außenministerium. Dann wechselte sie den Ton und ließ Laurence wissen, dass sie jetzt nicht mehr so provisorisch hausen müsse wie bei ihrem kürzlichen ersten Aufenthalt, weil inzwischen das kleine Lesezim-mer ganz neu hergerichtet worden sei und voll zu ihrer Verfügung stehe. Während sie ihr die Wohnung zeigte, erläuterte Catherine, dass ihr Mann und sie getrennte Schlafzimmer hätten, um sich den
›persönlichen Freiraum‹ zu erhalten, den sie beide unbedingt brauchten. Abschließend bat sie Laurence, sich hier völlig zu Hause zu fühlen und sich als Familienmitglied zu betrachten.
Während des Nachmittags versenkte sich Laurence dann in die Zusammenstellung, die Antoine Beckers Sekretärin für sie veranlasst hatte: fünf Jahre Nachtrag ›aktueller Ereignisse‹! Dabei fand sie, dass sie Monique Schultz wohl als echte Verbündete betrachten dürfe, obwohl sie doch mit ihr nur einige wenige Worte gewechselt hatte, die obendrein keineswegs persönlicher Art gewesen waren.
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Als sie erfuhr, dass Beamte des Innenministeriums sie hatten sprechen wollen, zögerte sie kurz, beschloss dann aber, alle derartigen Mitteilungen nicht weiter zu beachten. Sie befand, dass sie noch nicht ausreichend auf der Höhe sei für Gespräche mit Unbekannten. Als Ärztin beunruhigte es sie, dass sie auf der Waage im Badezimmer der Beckers hatte feststellen müssen, dass sie seit der Untersuchung durch ihren Kollegen Dr. Rudaz in der Botschaft erneut an Gewicht verloren hatte.
Die Mission Antoine Beckers in Algier näherte sich ihrem Ende.
Die Aussicht auf seine alsbaldige Rückkehr versetzte Laurence in eine Spannung, die sie sich nicht recht erklären konnte. Am Freitag wurde sie zu sehr früher Stunde durch ungewöhnliche Geräusche geweckt. Vorher schon hatte sie mitbekommen, dass Catherine sehr spät heimgekehrt war, und zwar in Begleitung. Ihr erster Gedanke war daher, dass wohl Antoine überraschend früher eingetroffen sei und sich am anderen Ende des Ganges eine eheliche Szene abspiele.
Sie stand auf und machte mit gespitzten Ohren einige
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