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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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Teresa Lagerstein erhob sich schroff und forderte ihn auf, das zu wiederholen, was er über eine ›privilegierte Beziehung‹
    zwischen Frau Dr. Descombes und Muhammad Sheba berichtet habe. Der Mund des Unglücklichen, ein langer Strich fast ohne Lippen, zuckte unaufhörlich. Er murmelte einen unverständlichen 72

    Protest und machte eine jammervolle Geste, die zu besagen schien:
    »Ich weiß nicht, wovon ihr redet, und ich möchte keine Schwierigkeiten!« Seit seinem Eintreten ins Büro musste er offenbar gegen ei-ne animalische Angst ankämpfen, die allein schon der Name des Oberst in ihm auslöste. Laurence hätte seinen Zustand der Panik mit geschlossenen Augen allein schon an der scharfen Ausdünstung erkannt, die nur sie selbst wahrnehmen konnte.
    »Wäre es nicht einfacher gewesen, sich direkt an mich zu wenden?«, fragte sie mit einem herausfordernden Blick zu Antoine Becker und Frau Lagerstein.

»Gewiss«, räumte Antoine ein. »Aber dafür sind wir ja hier – Teresa?«
    »Gewissen Mitteilungen zufolge sollen sie in das Verschwinden von Said Boudjenah verwickelt gewesen sein. Wir hätten diesen Ge-rüchten keinen Glauben geschenkt, wenn nicht Herr Razmadi hier selbst uns das bestätigt hätte. Er war in Maghrabi Zellengenosse von Boudjenah.«
    »Nein! Das ist eine frei erfundene Lüge!«, schrie der arme Mensch und umklammerte dabei die Lehne des vor ihm stehenden Sessels so heftig, dass seine blutleeren Knöchel knackten wie abgestorbenes Holz. »Ich habe diesen Boudjenah überhaupt nie gesehen!« Nun erhob sich auch Antoine mit verstörtem Gesicht. Laurence war als Einzige sitzen geblieben und betrachtete die alte Jüdin mit geheimer Sympathie. »Die ist nicht ohne«, fand sie. »Wenn wir uns unter anderen Umständen kennen gelernt hätten, hätte sich durchaus ein Vertrauensverhältnis zwischen uns entwickeln können.«
    »Was soll das heißen?«, wandte sich Teresa Lagerstein an Razmadi und suchte seinen Blick. »Ich verstehe überhaupt nichts mehr! Sie haben uns doch bestätigt, dass…«
    Er unterbrach sie mit einem Schluchzen und sog dann heftig die Luft ein, die er brauchte, um ihr antworten zu können.
    »Weil Sie mich danach gefragt haben!«, stöhnte er. »Ich habe ein-73

    fach gelogen, damit Sie mir das Übrige glaubten, das tatsächlich stimmt!«
    Für Laurence war das Durcheinander seiner Erklärung keineswegs erstaunlich. Sie musste seit ihrer Befreiung gegen die gleiche Angst ankämpfen, die gleiche Lähmung. Sie schwieg über die Geschehnisse während ihrer Gefangenschaft nicht allein aus Furcht, all diese Albträume Wiederaufleben zu lassen, sondern vor allem aufgrund ihrer Befürchtung, nicht verstanden zu werden und damit den Rest jener Selbstachtung zu verlieren, den sie sich hatte bewahren können gegenüber denen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, sie zu einem Nichts zu machen.
    Antoine war purpurrot angelaufen, und Teresa Lagersteins Gesicht hatte sich verdüstert. Laurence folgte ihren Blicken, die sich schon wieder von Razmadi und ihr abgewandt hatten. Auf der Hose Sayyed Razmadis zeigte sich ein dunkler Streifen, und neben seinem Schuh wurde ein gelblicher Fleck rasch größer. »Inkontinenz durch das Anlegen von Elektroden an die Genitalien«, diagnosti-zierte sie medizinisch sachlich. Die schreckliche Banalität dieser ihrer Feststellung veranlasste sie zur (allerdings vergeblichen) Ausschau nach einem Riss in der Vertäfelung der Résidence Victor, durch den sie sich hätte verflüchtigen können – entschweben ins Vergessen, eingehen ins Nicht-Sein…
    Im Wagen, der sie zu Harmonices Mundi zurückbrachte, dachte Antoine Becker: »Ich rede zu viel!« Dennoch redete er weiter auf Laurence ein und ließ dabei immer wieder die Augen von der Stra-
    ße abschweifen, um die Reaktionen der jungen Frau zu beobachten.
    »Teresa hat eben genau die Fehler, die sich aus ihren Fähigkeiten ergeben!«, sagte er. »Eine blöde Idee, Sie diesem armen Kerl gegen-
    überzustellen! Sie hatte mir vorher nichts davon gesagt, das dürfen Sie mir glauben. Schließlich ist es aber doch alles in allem gut verlaufen, finden Sie nicht?«
    »Sie haben mich verdächtigt«, antwortete sie niedergeschlagen.
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    »Und jetzt haben Sie weiterhin Zweifel. Sie sind also kaum weitergekommen.«
    »Zweifel – aber nein! Offene Fragen, das schon – und nicht wenige. Ich habe es mir bisher versagt, Sie zu fragen, was sich wirklich dort in Maghrabi abgespielt hat. Sie sind schon sehr verschlossen,

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