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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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brauche Ihnen das gar nicht erst zu erklären!«, brummelte er zufrieden.
    »Ausnahmen bestätigen nur die Regel, aber im Großen und Ganzen: alles Blutsauger!«
    Am Boulevard Haußmann stiegen sie einen Metroeingang hinunter. Er gab ihr einen Fahrschein und ließ ihr mit einer kleinen Verbeugung am Durchgang den Vortritt. In seiner altmodischen Galan-terie erinnerte er sie an Groucho Marx.
    Der Bahnsteig war fast leer; ein gedämpftes Donnergrollen kündigte die Ankunft einer U-Bahn an. Laurence fand, dass dieser Fjo-100

    dor Gregorowitsch nicht nur die exzentrische Persönlichkeit war, als die man ihn ihr geschildert hatte, sondern ein völlig abgehobe-ner Wirrkopf. Dabei empfand sie jedoch keinerlei Angst vor ihm.
    Im Gegenteil – sie war ernsthaft interessiert daran, ihn näher kennen zu lernen.
    »Sie sprachen davon, dass die Atome zueinander passen müssen.
    Aber Sie kennen mich doch kaum!«
    »Das sagt mir meine Nase«, beteuerte er und rieb sich sein ansehnliches Riechorgan. »Großes Instrument für unbestechliche Diagnose! Wer war der Mann, der Sie begleitet hat?«
    »Antoine Becker, Leiter von Harmonices Mundi. Kennen Sie ihn denn nicht?«
    »Nein, bestimmt nicht. Er hat Angst vor Ihnen, warum?«
    »Angst vor mir? Das verstehe ich nicht.«
    »Ich kann nur sagen, dass dieser Mensch Sie entsetzlich fürchtet.
    Warum, weiß ich nicht.«
    Mit Laurence im Schlepptau eilte er auf einen Wagen zu, der nicht ganz so überfüllt war wie die anderen.
    »Machen Sie sich keine Sorgen um mich«, flüsterte er ihr ins Ohr.
    »Ich muss ständig in Bewegung sein, das ist ein innerer Zwang.
    Aber ich bin im rechten Augenblick wieder zurück, bestimmt!«
    Er drängelte sich zwischen den übrigen Passagieren durch und schien alle Werbetafeln zu lesen, als ob er verborgene Botschaften dahinter vermutete.
    Sie ließ sich, nach Atem ringend, auf eine Sitzbank sinken. Die Aufregungen nahmen kein Ende. Wieso sollte Antoine Angst vor ihr haben? Inwiefern konnte sie eine Bedrohung für ihn sein? Wieder einmal verspürte sie ein Sausen in den Ohren. »Ich darf jetzt nicht schon wieder ohnmächtig werden, nicht hier!«, sagte sie sich.
    Sie hätte sich niemals darauf einlassen sollen, mit der Metro zu fahren, mit all diesem Gedränge und dem Mangel an frischer Luft
    – und dieser Frau gegenüber mit dem Kind auf ihrem Schoß …
    101

    Sie erblickte nun Fjodor Gregorowitsch, der offenbar von seinem Rundgang zurückkam und auf sie zusteuerte. Dicke Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn. Nun beugte er sich über sie und legte ihr die Hand auf die Schulter.
    »Kräftiges Einatmen nur in Bauch und Rippenfell!«, befahl er ihr halblaut. »Und die Brust herausdrücken! Ich wechsle mal kurz den Wagen, komme aber auf der nächsten Station zu Ihnen zurück …
    Hier herrscht eine große Konzentration menschlichen Kummers, es ist schrecklich! Geht es wieder etwas besser?«
    »Ja, danke«, antwortete sie mit einem matten Lächeln.
    Das stimmte tatsächlich. Der Kloß in ihrem Hals hatte sich verflüchtigt. Ein paar Augenblicke später sah sie, dass der Russe in den nächsten Wagen umstieg. Er drängte sich durch die Menge, ange-trieben von diesem zwanghaften Bewegungsdrang, den er offenbar nicht unterdrücken konnte. Die Passagiere machten ihm Platz. Getreu seinem Versprechen, kehrte er bei der nächsten Station zu Laurence zurück. Und deren Beklemmung verschwand erneut auf unerklärliche Weise …
    Ranelagh – nur noch zwei Stationen … Das Kind ihr gegenüber zeigte lebhaftes Interesse an dem glänzenden Bart seines Nachbarn
    – eines Rabbiners, der nicht sehr zum Scherzen aufgelegt schien.
    Das Kind streckte seine Hand nach diesem Objekt seiner Begierde aus, doch die Mutter hielt es nachdrücklich zurück. Da begann es zu schreien und war nicht mehr zu beruhigen – weder durch die Versprechungen, welche die Mutter ihm ins Ohr flüsterte noch mit den Küssen, die sie ihm in den Nacken drückte.
    Fjodor Gregorowitsch war stehen geblieben und beobachtete die Szene. Sein Gesicht zeigte dabei einen Schauder, der ihr völlig unerklärlich war.
    Syssojew blieb schließlich vor einem dreistöckigen Gebäude stehen 102

    und blickte an dessen Fassade hinauf, als ob er sich vergewissern müsse, dass er auch an der richtigen Adresse sei. Das Anwesen, das wohl aus dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts stammen mochte, war in gutem Zustand. Schmale Beete, die frisch gejätet wirkten, zogen sich am Fuß der Mauern um den kleinen Innenhof hin, der

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