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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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Zeit gekannt.«
    Sie senkte die Augen, gerührt von der Aufrichtigkeit seines Tons.
    Die Vorstellung, dass er dem kleinen, in sich gekehrten Mädchen, das sie damals war, hätte begegnen können, löste ein lebhaftes Bedauern in ihr aus. Es hätte so wenig gebraucht, um ihr zu dieser Zeit zu Hilfe zu kommen: eine ausgestreckte Hand im rechten Augenblick, eine kleine Ermutigung … Warum hatte ihr das Schicksal diese Chance nicht gegönnt? Sie stellte sich vor, als Achtjährige auf Teddybärs Knien zu sitzen, sich von ihm streicheln zu lassen und sich ganz dem Schutz seiner mächtigen Arme anzuvertrauen – sie, die sich doch niemandem anvertraute … Diese Vorstellung war so
    *
    mère de Dieu: Mutter Gottes; merde de Dieu: Scheiße Gottes 92

    deutlich, dass sie die Hand vor die Augen hob, um sie zu verscheuchen.
    Nach langem Schweigen beugte sie sich auf ihrem Stuhl vor. Paddington hatte sie im Verdacht, ihm diese Geschichte mit dem Rosenkranz nur erzählt zu haben, um Zeit zu gewinnen, ehe sie auf etwas anderes zu sprechen kam. Und er hatte sich nicht getäuscht.
    Ihr Zögern endlich überwindend, vertraute sie ihm an, dass sie vor zwei Wochen in ihrer E-Mail ein kleines Gedicht gefunden habe, eine Art von scherzhafter Liebeserklärung: Zu Ihren Füßen sitzen, um Ihnen zu dienen, Sie ganz nach Wünschen stets zu bedienen, Lernen, auf Ihre Befehle zu hören:
    Körper und Seele sollen Ihnen gehören.
    Wäre das denkbar?
    Ihr Ergebener
    Sie hatte die Nachricht gerade löschen wollen, als ein Zusatz auf dem Bildschirm erschienen war: »Darf ich auf Antwort hoffen?«
    Nein, durfte er nicht, sie hatte anderes zu tun! Ihr Computer weigerte sich aber, ohne eine Stellungnahme ihrerseits weiterzuarbei-ten, und zwang sie damit zur Eingabe eines NEIN. Daraufhin waren von der Bildschirm-Oberkante Tränen heruntergelaufen und hatten den Text abgewaschen. Fantasie hatte dieser ›Ergebene‹ ja schon, aber wohl auch zu viel freie Zeit, wenn er sie sich auf diese Art Zeit vertreiben konnte. Sie hatte versucht, den Absender zu ermitteln, indem sie ihre Posteingangsliste durchging, aber es war vergeblich gewesen.
    »Das muss jemand aus dem Haus sein!«, schloss sie entschieden.
    »Jemand, der in der Lage ist, die Sicherheitssperren zu überwinden.«
    »Ich nehme an, er hat sich wieder gemeldet…«
    »Besser gesagt, hört er gar nicht mehr auf damit! Jeden Morgen 93

    ein Briefchen, jeden Nachmittag ein weiteres. Die Texte verschwinden schon nach einer Minute wieder, ich habe kaum ausreichend Zeit, sie zu lesen. Und wenn ich den Befehl DRUCKEN eingebe, spuckt der Drucker Bibelzitate aus!«
    Paddington lachte leise vor sich hin und bedachte diesen ›Verehrer‹ mit einem Kopfnicken zur Anerkennung seines Einfallsreich-tums.
    »Wenn diese Briefchen Ihnen so missfallen, warum wollen Sie sie dann ausdrucken?«
    »Typische Berufskrankheit! Was mich stört, ist einfach diese Art, in meine Privatsphäre einzudringen. Die Texte selbst sind gut geschrieben, das muss ich anerkennen, und zeugen von einer Menge Humor…«
    »Das heißt, dass sich jemand echte Mühe damit macht… Sind Sie sicher, dass das alles nur scherzhaft gemeint ist?«
    »Ich weiß das jetzt tatsächlich nicht mehr so genau. Vor ein paar Tagen hat dieser Typ mich angefleht, von ihm einen Beweis seiner Ergebenheit anzunehmen. Ich hoffte, dass ihn das zwingen würde, sich zu erkennen zu geben!«
    »Und was ist dann passiert?«
    »Er hat mir eine Fotokopie seines Fußknöchels übermittelt mit einem Kettchen darum, in das meine Initialen graviert waren! Woher kennt er meinen zweiten Vornamen Euridyce? Ich verwende ihn nie, weil man mich als Teenager so damit gehänselt hat. Obendrein muss er ein guter Akrobat sein, um seinen Fuß auf den Fotokopierer zu legen. Außerdem hat er die Kopie der Juwelierrechnung beigefügt: Dreihundertfünfzig Dollar sind doch wohl ein bisschen viel für einen Spaß, finden Sie nicht auch? Ergänzend hat er mir mitgeteilt, dass er dieses Kettchen von nun an immer tragen werde, um mir zu zeigen, dass er sich als mein Sklave fühle!«
    »Über der Socke oder darunter?«, frotzelte Teddybär und gab sich keine Mühe, seine Belustigung zu verbergen.
    94

    »Darüber hat er sich nicht ausgelassen. Aber ich muss zugeben, dass ich es mir seit drei Tagen nicht verkneifen kann, auf die Beine meiner Kollegen zu schielen, wenn ich ihnen auf dem Flur begegne.
    Bald werden wohl Gerüchte über meine fetischistischen Neigungen aufkommen!«
    Sie schüttelte

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