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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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sicher schon davon gehört…«
    »Ich habe etwas gelesen von einer ›Fünften Offenbarung‹…«
    Warum hatte sie ihm nicht einfach erzählt, dass diese Dora auf dem Schiff ihr von diesem Ereignis berichtet hatte?
    »Genau! El Guía wird ihren Inhalt hier bekannt geben, im Kreis der verdientesten Jünger. Die Feierlichkeit wird über Satellit an ein Dutzend Verteilerstellen übertragen … Unsere Anhänger können sie direkt an riesigen Bildschirmen miterleben, oder auch über unseren Fernsehkanal, der in die meisten Kabelprogramme eingespeist ist.
    Kurz, eine wahre planetarische Kommunion!«
    Sie waren an einem Garten mit Blumenrabatten vorbeigekommen, einer Art Pausenhof für die kleine Schule des Heiligtums. Ein gutes Dutzend Kinder war mit Schulheften auf den Knien im Kreis auf der Wiese gesessen. Zwei Lehrerinnen hatten sich lächelnd und 140

    aufmerksam mit ihnen beschäftigt und dabei mit leiser Stimme gesprochen, als ob ihr Unterricht ans Geheimnisvolle grenze. Eine davon war an ihrem langen, kurzärmeligen Gewand aus blassgelbem Leinen als Novizin zu erkennen. Die andere hatte eine Art von wei-
    ßer Soutane mit einer Kapuze getragen, die jenen Gefolgsleuten vorbehalten war, welche die ›Schwelle der Entsagung‹ überschritten hatten.
    »Du denkst vielleicht, diese ganzen Bezeichnungen seien nichts als Humbug«, hatte Jean-Louis sich an sie gewandt. Dabei lächelte er leicht und verständnisvoll, was wohl andeuten sollte, dass es ihm früher einmal auch so gegangen sei. »Aber warte bitte mit deinem Urteil darüber ab, bis du mehr erfahren hast!«
    Sie hatte nicht geantwortet. Hatte sie überhaupt Lust, mehr zu erfahren? Ehe sie hierher nach Malta gekommen war, hatte sie nicht mehr gewusst, als dass die Mirandisten sich untereinander überall daran erkannten, dass sie ihre Haare kurz trugen, dass die jungen Männer auf Bart oder Schnurrbart und die jungen Frauen auf Make-up verzichteten, und dass sie ausgesucht höflich waren. Hier im Heiligtum war noch etwas anderes auffällig: Alle hatten sich die Brauen völlig abrasieren lassen. »Das verleiht ihnen aber eine merkwürdige Visage!«, hatte sie gefunden. »Und einige sehen aus, als seien sie ständig verblüfft!«
    Sie hatte Jean-Louis gefragt, warum er kein Gewand trage, an dem seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Klasse erkennbar sei.
    »Später!«, hatte er geantwortet. »Ich möchte dir lieber nicht gleich alles erklären, damit du dir unbeeinflusst deine eigene Meinung bilden kannst…«
    Sie hatte sich gerade noch davon abhalten können, ihm zu sagen, dass er in gewissen Dingen seinem Vater gleiche wie ein Ei dem anderen. Er hätte das wohl kaum als Kompliment aufgefasst.
    141

    Laurence löschte das Licht und streckte sich auf der harten, krat-zigen Rosshaarmatratze aus, die sie auf den Balkon vor ihrem Zimmer hinausgezogen hatte. Sie betrachtete den Sternenhimmel mit ganz neuem Blick, nämlich nicht als brillantenbesetztes Gewölbe, sondern als ein riesiges Loch in den Tiefen des Kosmos. Das erinnerte sie an das Fernrohr, das sie bei Fjodor Gregorowitsch entdeckt hatte. Der Gedanke an ihn löste in ihr den Wunsch aus, diese ungewöhnliche Persönlichkeit erneut zu besuchen, um von ihren Eindrücken hier in Xaghra zu berichten …

Ihr Abendessen hatte sie an diesem Tag an einem der großen runden Tische im Refektorium eingenommen. Die anderen Gäste waren zusammengerückt, damit sie noch einen Platz fand. Freundliches Lächeln, warme Worte des Willkommens. Ihre Fragen hatte man mit entwaffnender Arglosigkeit beantwortet. Andererseits hatte sie eine gewisse rücksichtsvolle Zurückhaltung gespürt. Dabei war sie sicher, dass ihre Identität und ihre Geschichte für niemanden hier ein Geheimnis war. Warum sonst wohl hätte man ihr hier die Ausfragerei erspart, die seit ihrer Rückkehr für jede erste Begegnung typisch war? Hatte man den Leuten hier bestimmte Anweisungen erteilt?
    Novizen und Jünger, die während des Tages durch ihre unterschiedlichen Aufgaben getrennt waren, versammelten sich beim Mahl wie eine Familie. Nur die Geweihten bildeten eine gesonderte Gruppe; sie schienen weder die lebhafte Unterhaltung ringsum wahrzunehmen noch die ihnen vorgesetzten Speisen, die sie mit gesenkten Augen verzehrten. Mit glatt rasierten Köpfen, gekleidet in nachtblaue Gewänder, bildeten sie die höchste Kaste der Gemeinschaft. Indem sie die ›Schwelle der Entsagung‹ überschritten hatten, hatten sie die Selbstentäußerung bis

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