Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
ihm gesagt, dass es den Leuten von Muhammad Sheba vielleicht gelungen sein könnte, dich über die Geschichte mit Boudjenah zum Reden zu bringen.«
Seine Gelassenheit war wohl ansteckend, denn sie hörte sich im gleichen Ton antworten, dass sie niemals zur Preisgabe von Informationen gezwungen worden sei.
»Die Wahrheit ist, dass man mich niemals über Boudjenah ausgefragt hat, und auch sonst über niemanden. Man hat mich dort für ganz andere Aufgaben gebraucht…«
»Dann muss Said von jemand anderem verraten worden sein«, entgegnete er kalt. »Bist du nur gekommen, um darüber mit mir zu reden?«
»Nein, keineswegs. Aber ich wollte diese Frage schnellstens vorab klären, damit sie vom Tisch ist. Du hast sie mir beantwortet, und damit ist sie erledigt.«
Sie war erschreckt von der Gleichgültigkeit, mit der er auf diese schwerwiegenden Beschuldigungen reagierte, und insgeheim trotzdem erleichtert, weil sie sah, dass er an ihren Worten nicht zweifelte.
Sie machten schließlich Halt auf einem Umschlagplatz für Gemüse, der sich abgelegen in der Mitte der Insel zwischen Hügeln befand.
Der Lagerverwalter, ein schmerbäuchiger Mulatte namens Stavros, bediente sie mit kriecherischer Unterwürfigkeit. Sein Sohn half ihm beim Aufladen einiger Kisten mit Obst und Gemüse. Laurence war überrascht von dem Blick, den sich die beiden zuwarfen, nachdem Jean-Louis sich abgewendet hatte, um sich wieder hinter das Lenkrad zu setzen.
»Sie haben Angst vor ihm!«, sagte sie sich überrascht. (Von allen Gefühlen, die sie zu erspüren gelernt hatte, erkannte sie Furcht mit 138
der sichersten Gewissheit.)
Doch da fuhr der Lieferwagen schon wieder los, und im Rückspiegel wurden die Silhouetten der Lagerhalle und der beiden Männer rasch kleiner. Da kam es wie eine plötzliche Erleuchtung über Laurence: Sie war nicht zufällig hier in Malta! Hier würden sich Geschehnisse abspielen, die für immer den Lauf ihres Lebens ver-
ändern sollten.
Das Mutterhaus der Universellen Vereinigungskirche war bekannt unter dem Namen ›Heiligtum von Xaghra‹. Es lag wenige Kilometer westlich der gleichnamigen kleinen Stadt auf einem Hügel, der die ganze Gegend überragte, in den Gebäuden eines ehemaligen Klosters aus dem siebzehnten Jahrhundert, das einst als Zufluchtsort für Mitglieder des Johanniterordens gedient hatte. Das Hauptgebäude war komplett renoviert worden. Die modernen Nebenbauten hatte man etwas weiter unterhalb angeordnet, um den malerischen Ge-samteindruck der Anlage nicht zu zerstören. Man fühlte sich hier der Zeit entrückt.
Der Tag neigte sich seinem Ende zu, und die Schattenflecken in den kleinen Tälern ringsum wurden größer und gingen schließlich ineinander über. Eine leichte Brise strich durch die metallgrauen Blätter der Olivenbäume. Laurence hatte die Anlage mit Jean-Louis besichtigt, der nichts anderes zu tun zu haben schien, als sie her-umzuführen. Dabei hatte sie jedoch an der Ehrerbietung, mit der man ihn grüßte, merken können, dass er in der Hierarchie dieser Sekte einen erheblich höheren Rang einnahm, als sie sich vorgestellt hatte.
Zur Anlage gehörten ein großer Hörsaal, eine Bibliothek, Vor-tragsräume und ein Refektorium. Die alte Ritterkapelle hatte man umgewandelt in eine ›Stätte der inneren Einkehr‹, an der absolutes Schweigen geboten war. Die Räume Miguel D'Altamirandas lagen 139
am Ende eines Klosterflügels; ihr Zugang war gesichert durch kleine Überwachungskameras, die an diesem alten Gemäuer deplatziert wirkten. Jean-Louis hatte das damit erklärt, dass El Guía schon mehrfach bedroht worden sei. Ja, er sei sogar bei seiner letzten Reise in die Niederlande nur mit knapper Not einem Mordanschlag entgangen.
Drei der fünf Nebengebäude dienten als Unterkünfte für Besucher des Heiligtums. Jedem von ihnen wurde eine eigene Zelle zugewiesen. Selbst Ehepaare, die an Seminaren oder Exerzitien teil-nahmen, wurden getrennt untergebracht. Für die Angehörigen der klösterlichen Gemeinschaft war das Zölibat Verpflichtung, und das Keuschheitsgebot galt für alle.
Im vierten Nebengebäude war die Verwaltung untergebracht und im fünften, das Laurence bei der Besichtigung nicht von innen zu sehen bekam, Rundfunk- und Fernsehstudios sowie ein Telekom-munikationszentrum. Auf dem Dach waren Techniker gerade mit der Anbringung einer großen Parabolantenne beschäftigt gewesen.
»Vorbereitungen für die ›Große Versammlung‹«, hatte Jean-Louis erläutert. »Du hast
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