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Bin ich hier der Depp

Bin ich hier der Depp

Titel: Bin ich hier der Depp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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hat nicht in erster Linie mit ihrer eigenen Persönlichkeit zu tun, wie immer wieder behauptet wird, sondern mit der Persönlichkeit ihrer Chefs – mit dem, was ihnen vorgelebt und als Unternehmenskultur gepflegt wird. Es gilt beim Führen das IA -Prinzip – der Chef lebt ein Verhalten vor, und seine Mitarbeiter, die Arbeitsesel, sollen sagen: » I ch a uch!«
    Das Arbeitsgebaren eines Chefs ist wie eine ansteckende Krankheit. Wenn der Boss bis 23 Uhr am Schreibtisch sitzt, ist er ein lebendes Mahnmal, das sich jeder Mitarbeiter vor Augen führen sollte, ehe er sich um 17 Uhr gegen den pünktlichen Feierabend entscheidet. Ein Chef, der nachts noch Mails verschickt, sendet die wichtigste Botschaft durch die Sendezeit: »Nimm dir ein Vorbild, Mitarbeiter! Während du dich im Bett wälzt, wälze ich Arbeit!«
    Der Chef wirkt wie ein Kontrastmittel: Jeder, der als Mitarbeiter von seinem Verhalten abweicht, fällt unangenehm auf. Die karrieregeilen Streber erkennen dieses Signal. Sie lauern die ganze Nacht vor ihren Smartphones, immer in der Hoffnung, eine 23.45-Uhr-Mail des Chefs in maximal 90 Sekunden zu erwidern.
    Gleichzeitig übernehmen sie das Verhalten des Vorgesetzten. Ihre nächtlichen Mails lassen sie wie Streubomben über die Firma regnen, mit großem Verteiler und sofortigem Antwortbedarf. Und natürlich arrangieren sie es, dass sie ihrem Chef um 20.30 Uhr noch im Raucherraum begegnen, Nachtarbeiter unter sich. Dabei beklagen sie die Arbeitsmoral der Kollegen. Der Chef nickt. Zwei Rauchkringel vereinigen sich.
    Die hausgemachte Evolution besorgt den Rest: Die Streber werden für ihren Einsatz befördert. Diese positive Verstärkung erhöht ihren Eifer. Und wenn sie nicht gestorben sind, natürlich an Überarbeitung, dürfen sie eines Tages selbst befördern – und ziehen Mitarbeiter ihrer eigenen Bauart vor: Helden der Arbeit.
    Dieser Arbeitswahn übt eine Sogwirkung aus: Wer es sich noch erlaubt, im heimischen Bett statt am Schreibtisch zu übernachten, nimmt ein schlechtes Gewissen mit in den Schlaf. Was die Arbeitshelden vorleben, geht mit dem stillschweigenden Appell einher: »Häng dich endlich rein wie wir, du Flasche! Sonst kannst du hier nichts werden, höchstens Entlassungskandidat!«
    Eigentlich könnten sich solche Chefs durch Goethe moralisch reinwaschen: »Mit einem Herren steht es gut / der, was er befohlen, selber tut.« Allerdings wollen sie mit den Mitarbeitern nur ihre Pflichten teilen! Ununterbrochen schuften wie ein Chef? Klar doch! Erreichbar sein wie ein Chef? Selbstverständlich! Den Kopf hinhalten, wenn etwas schiefgeht? Aber sicher! Als Letzter aus dem Büro gehen? Sehr erwünscht! In Chefqualität arbeiten? Mindestens!
    Anders die süßen Seiten der Führungsposition: Chefgehalt kassieren? Vergiss es! Im Chefbüro residieren? Nicht drin! Chefsekretärin bekommen? Träum weiter! Erster Klasse reisen? Zu teuer! Fünfstelliger Bonus am Jahresende? Ach was! Dienstwagen? Niemals! Parkplatz am Gebäude? Von wegen! Coachings umsonst? Keine Chance!
    Es ist ein Spiel mit gezinkten Karten: Die Mitarbeiter sollen die Pflichten ihrer Chefs teilen, aber auf deren Privilegien verzichten. Dass sie nicht angemessen für ihren Einsatz belohnt werden, ist einer der Gründe, warum so viele Mitarbeiter als Motivationsleichen enden. Schlecht belohnte Arbeit steigert sogar das Risiko auf einen Herzinfarkt, wie der Düsseldorfer Medizinsoziologe Johannes Siegrist nachweist. [19]
    Chefs sind gleicher als gleich, auch nach Feierabend. Der Vorgesetzte streicht ein saftiges Gehalt ein, er kann es sich leisten, seinen Haushalt von einer Hilfskraft organisieren und seine Kinder von einer Nanny betreuen zu lassen. Derweil müssen seine Mitarbeiter stets an zwei Fronten kämpfen: dem Berufs- und Privatleben.
    Die Führungskraft kann es sich erlauben, ihre bessere Hälfte ein ausgeglichenes Dasein zu Hause führen zu lassen. Dagegen rasseln im Haushalt des Mitarbeiters oft zwei Vollzeit-Arbeiter mit solchem Volldampf zusammen, dass der Eheberater nur noch einen Totalschaden attestieren kann. Und wie sich der Arbeitsstress ins Privatleben überträgt, überträgt sich der Privatstress ins Arbeitsleben. Ein Teufelskreis, der krankmachen kann.
    Kein Medikament wirkt sich auf die Gesundheit und die Lebenserwartung eines Menschen besser aus als eine leitende Position. Im Schnitt sterben Mitarbeiter 4,4 Jahre früher als ihre Chefs, das belegt der britische Epidemiologe Sir Michael Marmot. [20] Weil sie über ihr

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