Bin ich hier der Depp
und seinen Rottweiler auf dem Rücksitz zu bändigen. Mehrfach hatte er sich umgedreht, um den Hund von einer Kühlbox mit Fleisch abzuhalten. Derweil schlingerte sein Lieferwagen und erfasste King, der neben der Route 5 ging. Der Autor wurde fünf Meter durch die Luft geschleudert. Er überlebte nur knapp. [40]
Doch während Bryan Smith für sein Multitasking bestraft wurde, mit einem halben Jahr Gefängnis auf Bewährung, winkt Mitarbeitern dafür Ruhm und Ehre – die Stellenausschreibungen sehen die »Multitasking-Fähigkeit« als höchstes aller Prädikate. Wer viele Dinge zur gleichen Zeit tut, gilt als Arbeitskrake mit acht Armen, als gut organisiert und auffassungsbegabt.
Gelungenes Multitasking soll darin bestehen, dass ein Mitarbeiter – anders als Bryan Smith – die heranstürmenden Arbeitshunde alle bändigt, ohne dass sein Arbeitswagen schlingert. Dokumente studieren und telefonieren, SMS tippen und konferieren, Auto fahren und über die Freisprechanlage verhandeln, Mails tippen und einen Azubi anweisen, Akten sortieren und Kollegen zuhören: Alles bitte gleichzeitig! Alles fehlerfrei! Alles sofort!
Nichts kann mehr warten, nichts ist verschiebbar, jeder Fliegenschiss hat höchste Priorität, wie es auch die hysterischen roten Flaggen, die fetten Ausrufungszeichen der Mails signalisieren – erst recht, wenn der Chef sie schickt.
Alle Arbeiten, die er seinen Mitarbeitern zuwirft, müssen sie auffangen, ohne andere fallen zu lassen, auch wenn die Hände schon voll sind. Am liebsten werfen Vorgesetzte ihre fetten Arbeitspakete den Frauen zu. Angeblich nicht, weil die Frauen mal wieder die Deppen, sondern weil sie die besseren Multitasker sind – was durch wissenschaftliche Studien längst widerlegt ist. [41]
Der Multitasking-Wahn entspringt der Chefetage, dort schaffen es die Hauptdarsteller, ihre Mitarbeiter wie ein Orchester zu dirigieren, während sie in ihr Handy englische Wortfetzen rufen, aus dem Augenwinkel ihre Maileingänge verfolgen, ein PDF -Dokument auf dem Bildschirm überfliegen und ihr Autogramm serienweise in die Unterschriftenmappe mit den frisch diktierten Briefen kritzeln. Vor lauter Hetzen kommt die Konzentration abhanden, vor lauter Gleichzeitigkeit schwindet die Zeit.
Das bekommt jeder Mitarbeiter zu spüren, der auf die kühne Idee kommt, seinen Chef in Ruhe sprechen zu wollen. Nicht nur die Ruhe ist schwierig, sondern auch das Gespräch, denn dazu wäre ja im Idealfall ein Zuhörer nötig!
Zum Beispiel hat mir der Projektleiter eines Maschinenbauers folgende Situation geschildert: Eine Auslieferung an einen Kunden stand an, doch die Produktion lahmte. Mehrfach hatte es schon Ärger gegeben, weil dieser Kunde zu spät beliefert worden war. Darum wollte sich der Projektleiter mit seinem Chef abstimmen.
Der Mitarbeiter betrat das Büro und grüßte. Sein Chef beugte sich tiefer zum Bildschirm, als wolle er vor dem Mitarbeiter durch einen digitalen Notausgang flüchten. Der Projektleiter räusperte sich. »Entschuldigen Sie, dass ich störe – ich möchte mal kurz etwas mit Ihnen besprechen.«
Sein Chef schob seinen Kopf näher an den Bildschirm. »Was hindert Sie daran?«, knurrte er. Derweil hackten seine Finger auf der Tastatur herum, unterbrochen von hohen Pieptönen, die den Eingang neuer Mails verkündeten.
Der Mitarbeiter sagte: »Wir haben ein Terminproblem mit dem Projekt ›Paulsen‹. Die Konstruktionspläne der Zulieferer sind fehlerhaft. Ich bin mir nicht sicher, ob wir den Termin halten können.«
Der Chef klapperte auf der Tastatur und meinte beiläufig, ohne sich umzusehen: »Okay, knien Sie sich einfach rein!«
Drei Wochen später war der Termin geplatzt. Der Mitarbeiter überbrachte seinem Chef die Nachricht. Diesmal schnellte der Boss vom Computer wie eine Giftschlange herum: »Was sagen Sie da! Paulsen klappt nicht!«
»Aber ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass der Termin nicht zu schaffen …«
»Frechheit! Das höre ich zum ersten Mal. Was denken Sie sich dabei, mich nicht zu informieren!«
»Aber ich …«
»So geht das nicht! Erst vergeigen Sie den Termin – und dann wollen Sie die Schuld auf mich abwälzen.«
Das Zuhören offenbart den Fluch des Multitaskings: Wer zwei Hasen jagt, fängt keinen, sagt man in Ungarn. Das Gehirn kann zur selben Zeit nur einen Gedanken denken. Wer »nebenbei zuhört«, aber derweil eine Mail schreibt, ist nicht nur ein schlechter Zuhörer, sondern auch ein schlechter Mailschreiber. Seine Konzentration
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