Bin ich hier der Depp
Mails um die Ohren. Ich schaffte meine Mails kaum mehr – vom Projekt ganz zu schweigen.«
Nach zwei Wochen fand eine Sitzung statt, um den Stand des Projektes zu besprechen: »Natürlich hatte ich nichts vorzuweisen. Und wer hat mich dafür am schärfsten kritisiert? Dieselben Typen, die mich mit ihren Mails pausenlos behelligt und von der Arbeit abgehalten hatten!«
Ein Vorgang, den man früher in fünf Minuten besprach, kann sich per Mail über fünf Wochen ziehen. Eine Angelegenheit, an der drei Leute beteiligt waren, erstreckt sich per CC (Chaos-Club) auf mindestens dreißig. Und eine schriftliche Vereinbarung, die früher einmal getroffen wurde und dann galt, kann sich durch Mails im Minutentakt ändern.
Die Arbeit geht. Sie geht sogar blitzschnell. Aber sie geht nicht mehr vorwärts – sie geht nur noch hin und her. Zwischen Absender und Empfänger, zwischen Abteilung und Abteilung, zwischen Mitarbeiter und Chef. Nur der Kunde, um den es eigentlich gehen sollte, spielt bei dieser digitalen Selbstbefriedigung keine Rolle mehr – seine Anliegen fallen unter den Tisch.
Jeder Mailwechsel, vor allem mit CC , ist eine Bühne. Dort tanzen mit Vorliebe alle, die sonst zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Der Controller produziert sich als Sparfuchs (Soll sein Chef doch lesen, dass er ein würdiger Nachfolger wäre!), der Experte will durch Kritik an winzigen Details sein Fachwissen bewundert sehen (Niemand hat so ein gutes Auge wie er!), und der Chef hält es für seinen Job, per Mail noch ein paar Fragen zu stellen, die sonst niemandem eingefallen sind (was auch daran liegen könnte, dass diese Fragen überflüssig sind!).
In Mails geht es selten um die Sache. Öfter geht es um Aufmerksamkeit, jene Währung, um die im Zeitalter der Informationsschwemme immer härter gekämpft wird. Jede Mail ist ein Schrei: »Mich gibt’s auch noch, nimm mich zur Kenntnis!« Und wer als Mail-Empfänger einen solchen Schrei überhört, muss damit rechnen, dass dieser in ein verzweifeltes Dauerbrüllen, in einen wütenden Mailbeschuss übergeht.
Das ganze Dilemma der modernen Gesellschaft spiegelt sich in den Mailfächern der Firmen: Vor lauter Quantität geht die Qualität verloren. Hauptsache viel, Hauptsache schnell, Hauptsache belanglos. Irrelevantes schlüpft in den Mantel der Wichtigkeit, Details blasen sich zu Hauptsachen auf, und was eigentlich ein Handgriff wäre, wird zum Staatsakt stilisiert – und alles eilt, eilt, eilt! Statt zu arbeiten, wird gemailt. Statt zu mailen, wird gemüllt. Wir digitalisieren uns zu Tode.
Der Entwickler lieferte seine Software übrigens mit drei Wochen Verspätung. Die ganze Firma war empört. Sein Chef hat die Schuld sofort an ihn als Deppen delegiert, in angemessener Form: einer Mail mit großem Verteiler.
Hamsterrad-Regel: Die Hälfte aller verschickten Mails ist überflüssig, ebenso die Hälfte aller empfangenen Mails. Ob es sich um dieselbe Hälfte handelt, darf bezweifelt werden!
Deppen-Erlebnisse
Wie ich meinen Urlaub vor dem Firmen-Laptop verbrachte
Die Mail meiner Chefin kam mitten in meinem Urlaub. Sie brauchte ein paar Kennzahlen, bitte schnell! Eigentlich hätte ich nicht reagieren müssen; meine automatische Antwort-Mail besagte, dass ich erst nach dem Urlaub wieder zu erreichen sei.
Doch nun hatte ich die Mail gelesen und bekam sie nicht mehr aus dem Kopf. Sie kam mir vor wie ein Hilferuf, den ich nur zum Verstummen bringen konnte, indem ich die Zahlen lieferte. Also loggte ich mich ins System der Firma ein, ermittelte die Zahlen und antwortete der Chefin.
Das war ein Fehler, denn nun schob sie weitere Anfragen nach, immer aufwändiger. Ich fühlte mich in der Pflicht, ihr zu antworten – schließlich wusste sie nun, dass ich meine Mails las. In der zweiten Hälfte meines Urlaubs habe ich täglich mehrere Stunden vor dem Laptop verbracht.
Meine Konsequenz daraus: In den nächsten Urlaub fuhr ich ohne Laptop. Zurück im Büro, las ich fünf Mails meiner Chefin, die sie mir in Abwesenheit geschickt hatte. Es waren Arbeitsaufträge, wie immer »höchst eilig«. Und sie war sauer, dass ich nicht antwortete. Mit jeder neuen Mail schlug sie einen schärferen Ton an, zuletzt schrieb sie: »Ich weiß genau, dass Sie diese Mail lesen. Wenn Sie nicht antworten, bringen Sie sich und mich in Schwierigkeiten.«
Aus der Tatsache, dass ich einmal im Urlaub erreichbar war, hatte mein Chefin ein Gewohnheitsrecht abgeleitet. Ich nahm mir vor, ihr noch viele Gelegenheiten zu geben,
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