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Bin ich hier der Depp

Bin ich hier der Depp

Titel: Bin ich hier der Depp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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    Wenn die Marketing-Mitarbeiterin Viola Steiner (27) ihrem Chef eine Mail schickte, gab es zwei Möglichkeiten: Er antwortete nach wenigen Minuten, was selten passierte. Oder er antwortete nie, was oft passierte. Sogar wichtige Mails konnten ohne Reaktion bleiben. So ging es ihr, als sie ihm das Konzept für eine multimediale Kampagne zumailte. Mehrere Wochen hatte sie daran gefeilt. Nun fieberte sie seiner Antwort entgegen.
    Mails kamen reichlich, aber die falschen. Zwei verfeindete Kollegen trugen ihren Schusswechsel per Mail aus, statt sich ordentlich im Morgengrauen zu duellieren, und der Verteiler umfasste die halbe Firma, obwohl es nur eine Handvoll interessierte Sekundanten gab. (Viola Steiner gehörte nicht dazu!)
    Jedes Wort, das die Kontrahenten abfeuerten, gierte heimlich nach dem Applaus des Publikums (»Gib’s ihm!«). Das Tempo des Schusswechsels beschleunigte sich. Am Anfang, als sie um sachliche Details stritten, hatte eine Mail pro Tag gereicht. Doch seit daraus eine persönliche Feindschaft gewachsen war, ballerten sie sich die Mails im Minutentakt um die Ohren. Und die Sekundanten mischten sich genauso schnell mit »Buh«- oder »Bravo«-Rufen ein, ebenfalls mit Großverteiler.
    Fehlte nur noch der »Gefällt mir!«-Button, über den die unfreiwilligen Zuschauer abstimmen konnten, welcher Gladiator den Kampf gewonnen hatte und welcher den Chef-Löwen zum Fraß vorgeworfen wurde.
    Die meisten ihrer Maileingänge kamen Viola Steiner vor wie jene Viagra-Werbung, die gelegentlich ihren Spam-Filter austrickste: Empfängerin war sie zwar, aber definitiv nicht gemeint. Pausenlos informierten sie Mails über den Stand von Projekten, mit denen sie nichts zu tun hatte, über Termine, an denen sie nicht teilnehmen wollte, über den Umzug eines Geschäftspartners, mit dem sie nie Geschäfte gemacht hatte.
    Und wenn doch mal eine Mail sie meinte, war es garantiert die eines Kollegen, der seine Arbeit über die digitale Bande zu ihr prallen lassen wollte, etwa eine komplizierte Kundenanfrage mit dem Kommentar: »Kannst du ihm helfen?« Gemeint war natürlich: »Der Vorgang ist so blöd, dass ich mich nicht damit befassen möchte.«
    Natürlich nahm der Kollege die Absage nicht hin, sondern zettelte einen langen Streit über die Zuständigkeiten innerhalb der Abteilung an, bei dem ihm – dank Verteiler – seine eigenen Truppen zur Hilfe sprangen, was Viola Steiner zwang, ihrerseits Sympathisanten in die Verteiler-Loge zu setzen.
    Doch so zuverlässig die unwichtigen Mails kamen und Arbeitszeit fraßen – die wichtige Rückmeldung des Chefs auf das Konzept blieb aus. Da traf es sich gut, dass er Viola Steiner nach mehreren Tagen auf dem Flur über den Weg lief.
    »Hallo, Herr Schneider! Schon auf das Konzept geschaut?«
    Er verlangsamte sein Tempo, ging aber weiter in Richtung Fahrstuhl, sodass die Mitarbeiterin ihm folgen musste. »Ja, habe ich angeschaut. Schön, dass es fertig ist. Im Grundsatz finde ich es gut.«
    »Und was würden Sie noch verändern?«
    »Machen Sie mal ein paar Vorschläge!«
    »Vielleicht sollte ich noch Print und Online besser vernetzen. Und bei den Kosten ist auch noch Luft nach unten.«
    »Exakt!«, sagte er. Dann machte es »pling«, der Fahrstuhl war da, und der Chef entschwebte in den vierten Stock.
    Nach diesem Muster reagierte er auf fast alle Mails, meist erst auf mündliche Nachfrage: »Grundsätzlich in Ordnung, vielleicht haben Sie noch ein paar Vorschläge zur Optimierung der Details.« Nie wurde er in seinen Rückmeldungen konkret. Immer bat er die Mitarbeiter um eine eigene Einschätzung. Im besten Fall war er ein Anhänger des coachenden Führungsstils, der die klugen Einsichten aus den Köpfen der Mitarbeiter kitzelt, statt sie von außen hineinzupressen. Im schlechtesten Fall war er einfach desinteressiert.
    Ein paar Monate später flog sein kleines Geheimnis auf. Er saß im Flieger nach Kanada, während ein Drucktermin fällig wurde, den er vorher noch hätte erteilen sollen. Das Dokument befand sich in seinem Mailfach. Viola Steiner musste den Administrator bitten, ihr Zugang zu verschaffen.
    Die Mitarbeiterin erinnert sich genau an diesen Moment: »Das Erste, was mir in seinem Outlook auffiel: Sein Posteingang zeigte 1544 ungelesene Mails an. Das Zweite, was mir auffiel: All diese Mails stammten von mir und den anderen Mitarbeitern seiner Abteilung!« Dagegen waren die Maileingänge dazwischen, etwa von Kunden, anderen Abteilungen oder seinem eigenen Chef,

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