Bin ich hier der Depp
Mitarbeiter ratsam sein, alle seine Mails nach Feierabend zu prüfen. Wer sagt, die Mitarbeiter müssten ihre Mails nicht unterm Weihnachtsbaum checken (wie Siemens), kann damit meinen: Nicht am 24. Dezember, aber spätestens am ersten Weihnachtsfeiertag! Und wer sagt, Mitarbeiter müssten im Urlaub nicht erreichbar sein (wie die Deutsche Bank), kann damit meinen: aber am Wochenende und nach Feierabend durchaus!
Die Spielregeln eines Unternehmens werden nicht durch den Arbeitsvertrag, sondern durch die Praxis festgelegt. Millionen Mitarbeiter, die offiziell um 17 Uhr Feierabend haben, beugen sich um 18.30 Uhr noch über ihren Schreibtisch. Millionen Azubis, die offiziell etwas lernen sollen, legen sich als billige Hilfsarbeiter ins Zeug. Und Millionen Mitarbeiter, die nach Feierabend keine Mails empfangen müssen, mailen doch bis in die tiefe Nacht.
Die Firmen wollen den Eindruck erwecken, als hätten sie mit diesem »Arbeitseifer« nichts zu tun – als entschieden sich ihre Mitarbeiter aus freien Stücken dafür, um 20 Uhr lieber Mails als Bälle auf dem Tennisplatz zu wechseln, lieber an geschäftlichen Vorgängen als an Antipasti beim Italiener zu kauen.
Dieser Eindruck ist so korrekt, als würde man Wasser auf 100 Grad erhitzen und dann behaupten: »Es kocht freiwillig!« Der wichtigste Grund, warum Mitarbeiter nach Feierabend anpacken: Die Arbeit ist so bemessen, dass sie sich während der Arbeitszeit nicht mehr bewältigen lässt. Der Arbeitstopf, vom Chef unter Dampf gesetzt, kocht über, die Arbeit schwappt in die Freizeit. Nun hat der Mitarbeiter die Wahl, ob er als Arbeitsversager dastehen will, weil er seine Arbeit in der regulären Zeit nicht schafft, oder Anerkennung ernten, weil er keinen Dienst nach Vorschrift macht, sondern die Arbeit nach Feierabend erledigt.
Ein perfides System, das Freiwilligkeit suggeriert, aber mit Zwängen arbeitet. Die Mitarbeiter registrieren genau, wofür man in ihren Firmen gelobt und befördert wird: nicht für den pünktlichen Feierabend, sondern für den Dauereinsatz; nicht für einen Mail-Sendeschluss um 16.30, sondern für die direkte Antwort an den Chef auf seine Mail um 22.15 Uhr; nicht für einen Urlaub in privater Zurückgezogenheit, sondern für acht rasche Stellungnahmen zum aktuellen Projekt aus Mallorca.
Und warum wird jener Kollege, der pünktlich Feierabend macht und keine Mails mehr beantwortet, eigentlich bei jeder Gehaltserhöhung übergangen? Warum nennt man ihn hinter seinem Rücken den »Schläfer«? Und weshalb rieb ihm der Chef neulich im Streit seinen »Dienst nach Vorschrift« wie ein Kapitalverbrechen unter die Nase?
Dasselbe System, das Mitarbeitern das Recht auf ungestörte Freizeit verspricht, straft jene ab, die dieses Recht in Anspruch nehmen – und belohnt andere, die auf dieses Recht verzichten und ständige Erreichbarkeit praktizieren.
Wer es in einem Unternehmen zu etwas bringen will, orientiert sich an den Führungskräften. Ich kenne reihenweise Chefs, die sich damit schmücken, ihre letzte Mail des Tages um 0.45 Uhr zu verschicken, ihren Urlaub auf Zuruf per Mail für die Arbeit zu unterbrechen und ihr Blackberry sogar mit in die Sauna zu nehmen. Sie, die ständig Erreichbaren, sind ein lebender Appell an die Mitarbeiter, genauso zu werden. Nachwächter vorm Computer sind gefragt.
Aber was ist mit VW ? Dort wird der Server eine halbe Stunde nach Ende der Gleitzeit abgestellt bis zum nächsten Morgen. Angeblich muss kein Mitarbeiter mehr fürchten, mit dienstlichen Mails in den Feierabend verfolgt zu werden.
Aus erster Hand weiß ich: Einige Vorgesetzte haben ihren Mitarbeitern nahegelegt, dasselbe wie sie selbst zu tun – bei Bedarf private Mailadressen für dienstliche Belange zu verwenden. Wer sich diesem Spiel verweigert, bremst seine Karrierechancen aus. Eine VW -Mitarbeiterin erzählte mir: »Seit der Chef meine private Mailadresse kennt, komm ich von der Firma gar nicht mehr los. Immer wieder laufen abends Probleme auf. Sogar im letzten Spanien-Urlaub hat er mich mit einer Rückfrage zu einem Projekt belästigt.«
Hamsterrad-Regel: Kein Mitarbeiter wird gezwungen, seine Mails nach Feierabend zu empfangen. Es reicht völlig, wenn er sie vor Arbeitsbeginn am nächsten Morgen beantwortet hat.
Die Glatze aus dem Internet
Wenn eine Firma herausfinden will, was ein Mitarbeiter nach Feierabend treibt, kann sie einen Privatdetektiv anheuern; das ist teuer und dauert lang. Oder sie wirft einen Blick ins Internet; das ist
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