Bin ich hier der Depp
Ich druckte den Mailwechsel aus und marschierte in sein Büro:
»Was ist das hier?«, sagte ich – und klopfte auf die Ausdrucke.
Er rückte seine Lesebrille zurecht und las die reklamierte Passage. »Das ist nur Politik. Nehmen Sie es nicht ernst.«
»Ich empfinde das als Verleumdung! Ich möchte, dass Sie es richtigstellen. Sonst schreibe ich eine Mail mit der Wahrheit.«
Er stand auf und ging drohend einen Schritt auf mich zu. »Übertreiben Sie es nicht! Wenn Sie mich öffentlich beschuldigen, kann ich Ihnen keine Rückendeckung mehr versprechen.«
Keine Rückendeckung mehr! Als hätte er mich bislang beschützt! In der Annahme, ich bekäme seine Mail nie zu Gesicht, hatte er mich verleumdet. Wahrscheinlich nicht zum ersten Mal. Gerne hätte ich ältere Mailwechsel gelesen.
Hans Lübbers, Versicherungsangestellter
[67] netzeitung.de, Handys verführen Manager zur Lüge, 01.06.2007
[68] Weick, Günter; Schur, Wolfgang, Wenn E-Mails nerven. Eichborn, 2008
[69] Spiegel Online, Bürowahnsinn kostet Unternehmen Milliarden, 26.07.2007
[70]
[71] zeit.de, Googeln Sie Ihre Bewerber, 21.02.2010
[72] sueddeutsche.de, Jeder zweite Personaler googelt Bewerber, 18.10.2011
[73] faz.net, Bewerber googeln – oder lieber doch nicht?, 14.09.2008
[74] s. zeit.de, 21.02.2010
Chef-Agent: Der Spion, der aus der Firma kam
In diesem Kapitel erfahren Sie unter anderem …
warum privates Surfen für die Firmen ein (Kündigungs-)Segen ist,
weshalb der vermeintliche Trainee ein Detektiv sein kann,
wie Mitarbeiter von versteckten Kameras belauert werden
und wie Franz Josef Strauß einem Bewerber zum Verhängnis wurde.
Das Netz, dem keiner entrinnt
Der Brief an die Mitarbeiter war drastisch formuliert: Die lokale Geschäftsleitung des Elektronik-Riesen Media Markt wollte einen »Drecksack (…) überführen«, der sein Unwesen auf den Toiletten der Firma trieb. Dabei war ihr jedes Mittel recht, sie drohte sogar mit einem Gen-Test. War es ein Sexualverbrecher, den die Firma dingfest machen wollte? Nicht ganz: Angeblich hatte ein Mitarbeiter mehrfach Nasenpopel an die Tür der Herrentoilette einer Wolfsburger Filiale geschmiert. [75]
Die Firma handelte nach dem Motto: Ein Mitarbeiter darf uns nichts verheimlichen, nicht mal seine Erbanlagen! Die Mitarbeiter hatten Glück, dass die Medien von der Sache Wind bekamen und der illegale Gen-Test nicht stattfand.
Doch Glück haben auch die Unternehmen: Die meisten Mitarbeiter liefern ihnen freiwillig einen genetischen Fingerabdruck – durch die Art, wie sie ihre Firmencomputer nutzen. Alle Homepages, die sie aufrufen, alle Privatmails, die sie tippen, lassen Rückschlüsse auf ihre Persönlichkeit zu. Diese Daten werden auf den Servern der Firma wie in einer Asservatenkammer gespeichert – ein üppiger Vorrat an Entlassungsgründen, auf den der Chef bei Bedarf zurückgreift.
Die meisten Firmen sind schlau genug, die private Nutzung des Internets nicht ausdrücklich zu verbieten, was die Mitarbeiter mit einer Erlaubnis verwechseln. Und während einer meint, sich privat im Internet zu bewegen, verrät er der Firma einfach alles: wie hoch sein Kredit ist (Nutzung eines Kreditrechners), wie es um seine Ehe steht (Besuch der Homepage eines Scheidungsanwalts) oder dass er psychische Probleme hat (Recherche nach einem Verhaltenstherapeuten, auch wenn er nur nach der passenden Adresse für seinen brüllenden Chef gesucht hat!).
Dass die digitale Asservatenkammer skrupellos zum Einsatz kommt, erlebten zwei Mitarbeiter des Callcenter-Betreibers Teleperformance in Brandenburg. [76] Jahrelang war es üblich, dass die Mitarbeiter privat im Internet surften, wenn die Arbeit es zuließ. Doch als die Belegschaft auf die Idee kam, einen Betriebsrat zu gründen, war Schluss mit lustig: Kurz vor der Wahl wurden zwei Kandidaten vor die Tür gesetzt. Die Firma warf ihnen privates Surfen vor. Die Beweise waren protokolliert.
Und schon ging unter den anderen Betriebsrats-Kandidaten das Zittern los: Hatten nicht auch sie privat das Internet benutzt? Wann würde das Schwert der Entlassung auf sie niedersausen? So sprang einer nach dem anderen ab. Die Wahl fiel aus!
»Wir hätten doch nicht gesurft, wenn wir gewusst hätten, dass wir damit eine Kündigung riskieren«, sagte einer der Entlassenen. Das kann der Grund sein, warum es ihnen niemand ausdrücklich gesagt hat.
Ich kenne Unternehmen, in denen die Geschäftsleitung den Vorschlag der IT -Abteilung ablehnte, Seiten mit privaten Inhalten zum
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