Bin ich hier der Depp
damit rechnen, dass der Chef die fröhlichen Zechbilder der Wochenend-Party mit dem kopfschmerzbedingten Arbeitsausfall am Montag in einen ungünstigen Zusammenhang bringt.
Wenn der Chef sich als »Freund« ausgibt, bekommt er Zugang zu Informationen, die in der Personalmappe noch fehlen. Zum Beispiel erfährt er, mit wem sein Mitarbeiter privat umgeht, worüber er sich äußert (vielleicht sogar über seine Arbeit!) und wie es bei ihm in Liebesdingen steht (wer frisch verlassen wurde, hat den Kopf sicher nicht frei, um ein wichtiges Projekt zu leiten!).
Während der Mitarbeiter meint, er bewege sich bei Facebook im privaten Wohnzimmer, kann die Anwesenheit des Chefs daraus einen gläsernen Anbau des Firmengebäudes machen. Für das Internet gilt dasselbe, was der Fernsehmoderator Robert Lembke einst dem Alkohol nachsagte: Es »konserviert alles, ausgenommen Würde und Geheimnisse«.
Die meisten Chefs sind als (Facebook-)Freunde unglaubwürdig. Kann ein Freund abmahnen? Nein. Kann ein Freund zwangsversetzen? Nein. Kann ein Freund entlassen? Nein. Aber ein Chef kann das! Und ist es ein »Freundschaftsdienst«, wenn man Überstunden leistet, auf Gehaltserhöhungen verzichtet und auf Mails zu allen Tages- und Nachtzeiten reagiert? Nein, das ist Ausbeutung!
Aber wenn der Chef gezielt das vermeintliche Freundesohr anspricht, wenn er Sätze sagt wie »Du wirst mich heute Nacht mit diesem Arbeitsberg doch nicht hängen lassen!« oder »Du willst mich mit deiner Gehaltsforderung doch nicht in Schwierigkeiten bringen!«: Dann wird die »Freundschaft« zu einem Instrument und macht den Mitarbeiter willig. Und billig.
Und zum Deppen!
Hamsterrad-Regel: Kündigungen sind ungerecht! Das geben Chefs sogar zu – sobald ihnen ein Mitarbeiter die Facebook-Freundschaft kündigt.
Deppen-Erlebnisse
Wie ich zu einem »SM-Chef« kam
Die wichtigste Information muss in der Betreff-Zeile einer Mail stehen. An diese Regel hielt sich unser Juniorchef, wenn er seinen Mitarbeitern mailte. Offenbar hatte er früher die Erfahrung gemacht, dass seine Mails erst nach Stunden beantwortet worden waren – was damit zusammenhängen könnte, dass die Bearbeitung seiner Anfragen meist Stunden erforderte! Und auch sonst trugen wir volle Arbeitsrucksäcke, die für Zusatzaufgaben wenig Platz ließen.
Jedenfalls ging er dazu über, seine wesentliche Botschaft ins Betreff zu schreiben. Und wesentlich war nur eines: Schnelligkeit! Deshalb machte er eine Zeitvorgabe. So lautete die Betreffzeile einer Mail, die mich um 10.17 Uhr erreichte: »Bis 11.30!« Die Aufgabe war so umfangreich, dass sie mindestens eine Stunde in Anspruch nahm.
Auf die Idee, dass ich von 10.00 bis 11.45 Uhr in einem Meeting saß, war er nicht gekommen. Stattdessen schob er um 11.32 Uhr eine zweite Mail nach: »Bis 11.40!« Ich sollte kurzfristig erklären, warum ich den Termin verfehlt hatte.
Um 11.45 Uhr – wahrscheinlich formulierte er schon an der Betreff-Drohzeit der dritten Mail (»Bis 11.46!«) – kam ich aus dem Meeting und rief ihn an. Er forderte mich auf, künftig mein Smartphone mit in die Meetings zu nehmen, um sofort auf seine Mails reagieren zu können. Dabei hätte alles, was er von mir wollte, viel Zeit gehabt. Aber als künftiger Inhaber der Firma wollte er keine Minute warten. Dass er uns aus der Arbeit riss und unter unnötigen Druck setzte, war ihm egal.
Für dieses Vorgehen verpassten wir ihm einen Spitznamen: Wir nannten ihn den SM-Chef – wobei SM nicht für Sado-Maso stand, sondern für: »Stoppuhr-Mailer«.
Juliane Anders, Koordinatorin
Wie ich den Schwarzen Peter per Mail erhielt
Unser Projekt war baden gegangen. Im Führungskreis wurde nun über die Gründe diskutiert. Ich hatte das Projekt koordiniert, war aber kein Mitglied des Führungsteams. Deshalb ging die Maildiskussion an mir vorbei. Bis jemand auf die Idee kam, mich in den Verteiler zu nehmen – ohne diskrete Rücksicht auf das, was schon geschrieben worden war.
Die oberste Mail war langweilig. Aus Neugier scrollte ich viele Mails nach unten. Auf einmal las ich meinen Namen. Mein Chef hatte geschrieben: »Herr Lübbers war mit der Komplexität überfordert.« Und ein paar Zeilen weiter hieß es: »Ebenso hat sich seine Einschätzung hinsichtlich des Zeitbedarfs als zu optimistisch herausgestellt.«
Mir blieb die Spucke weg! Ich hatte meinem Chef ins Gewissen geredet, dass wir mehr Zeit brauchen und das Projekt nicht unterschätzen sollten. Und nun delegierte er die Schuld an mich!
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