Bin ich hier der Depp
Surfen zu sperren. Schadet es den Firmen, wenn ein Mitarbeiter während der Arbeit surft, sofern er all seine Aufgaben dennoch zuverlässig erledigt? Nein. Nützt es ihnen, wenn sich die digitale Asservatenkammer mit Kündigungsgründen füllt? Durchaus!
Die Kammer füllt sich spielend: 90 Prozent aller Mitarbeiter mit Internet-Arbeitsplatz surfen und mailen auch privat, wie der Bonner Informationsdienst »Neues Arbeitsrecht für Vorgesetzte« diversen Studien entnahm. [77]
Entlassung 2.0 funktioniert so: Wie die Polizei ins Vorstrafenregister schaut, ehe sie einen Verdächtigen verhört, so schauen sich Chefs das Surfverhalten an, ehe sie die Kündigung an einen unerwünschten Mitarbeiter schreiben. Wer sich nichts zu Schulden hat kommen lassen, außer täglich dreimal in die Online-Sportnachrichten zu schauen, hat sich doch etwas zu Schulden kommen lassen. Immer öfter wird das Surfverhalten als Entlassungsgrund vorgeschoben und gerichtlich durchgewinkt.
Aber manchmal schießt sich die Firma auch ins eigene Knie. Zum Beispiel wurde der Vertriebsmitarbeiter eines Kosmetikherstellers zu seinem Chef zitiert: Er habe sich während seiner Arbeitszeit in Verbraucherforen herumgetrieben – dafür sollte es eine Abmahnung geben. Der Mitarbeiter aber protestierte: »Mein Teamleiter hat mich ausdrücklich damit beauftragt, dort positive Kommentare über unsere Produkte zu schreiben.« Die Abmahnung musste zurückgenommen werden.
Natürlich stecken die Firmen ihre Nase auch in den Mailverkehr, und das nicht zu knapp: Rund zwei Drittel aller Unternehmen mit mehr als tausend Mitarbeitern prüfen die ausgehenden Mails oder planen es. [78] Wer eine Mail schreibt, muss immer damit rechnen, dass es einen Empfänger mehr als in der offiziellen Leiste gibt.
Als König der Schnüffler darf bis heute der ehemalige Bahnchef Hartmut Mehdorn gelten. Mit allen Mitteln wollte er unterbinden, dass Kritik an seinem Unternehmen zu Journalisten oder Politikern vordrang. Unter dem Vorwand, er wolle Betriebsgeheimnisse wahren, ließ er bis Mitte 2008 den kompletten E-Mail-Verkehr der Bahn, Millionen von Mails, auf mehr als 100 Suchbegriffe filtern. [79]
Sobald ein Mitarbeiter arglos ein Wort aus diesem Raster in seiner Mail verwendete – möglicherweise den Begriff »Fehlentscheidung« –, landete seine Mail auf dem Schreibtisch der Fahnder, auch wenn er nur eine Schiedsrichterentscheidung vom letzten Wochenende kritisierte, nicht seinen heiligen Arbeitgeber.
Dass Firmen im Spionagerausch vor nichts Halt machen, nicht einmal vor dem Computer eines Betriebsratsvorsitzenden, beweist ein Fall bei der schwäbischen Bäckereikette Ihle. [80] Auf dem Rechner des Betriebsratsvorsitzenden hatte die Firma ein Kontrollprogramm installiert. Jeden Anschlag der Tastatur konnten die Spione verfolgen, zum Beispiel den vertraulichen Austausch zwischen dem Betriebsratsvorsitzenden und Mitarbeitern.
Doch angeblich war die Firma nicht als Gesetzesbrecher, sondern als Gesetzeshüter unterwegs: Man wollte den Betriebsratsvorsitzenden überführen, dass er seine Arbeitszeitkonten manipuliert. Doch der Verdächtigte wies vor Gericht darauf hin, dass viele Menschen Zugang zu seinem Computer gehabt hätten. Klingt plausibel – wie sonst hätte das Spionageprogramm installiert werden können?
Hamsterrad-Regel: Privates Surfen am Arbeitsplatz ist erlaubt, solange eine Firma Kündigungsgründe sammelt. Danach führt es zum Rauswurf.
Ein Detektiv in Harlem
Vier Wochen lang sollte der neue Trainee im Warenlager des Reifenherstellers bleiben. Der Prokurist hatte ihn persönlich eingeführt: »Eigentlich fangen Trainees ja in der Verwaltung an. Aber mir ist es wichtig, dass der Kollege hier gleich die Basis kennenlernt.« In den Ohren der Versandmitarbeiter klang das, als würde der Stadtführer einen New-York-Besucher erst durch die Slums von Harlem lotsen – »Sehen Sie, hier gibt’s auch Elendsviertel!« –, um ihm die Fifth Avenue umso schmackhafter zu machen.
Der Trainee fiel auf durch sein Alter, denn er war schon Ende 30, und seine Gesprächigkeit, denn er rückte jedem auf die Pelle, der nicht schnell genug flüchtete. Am Montag wollte er die Ergebnisse der Bundesliga diskutieren. Am Dienstag fahndete er nach jemandem, der die Talkshow »Hart, aber fair« kommentierte. Und am Mittwoch spazierte er mit der Tageszeitung umher und stieß mit den Schlagzeilen Gespräche an.
Meist biss er sich in einen Gesprächspartner fest und ließ ihn erst dann wieder
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