Bin ich hier der Depp
und mein Mann besaßen, was er verdiente und welche Kredite bereits liefen. Auf dieser Basis bekam ich einen Kredit von 20 000 Euro, rückzahlbar über zehn Jahre. Allerdings enthielt der Vertrag eine Klausel: Die Abzahlung in Raten galt nur so lange wie das Arbeitsverhältnis. Das hieß: Sobald ich die Firma verließe, würde die Restsumme mit einem Schlag fällig.
Bei uns herrschte hohe Fluktuation. Immer wieder kam es vor, dass begehrte Mitarbeiter kurzfristig zur Konkurrenz wechselten. Doch nun, seit die Firma ihre Kreditfessel einsetzte, nahm die Wechselfreude ab. Und nicht nur das: Die Schuldner der Firma wurden wie Leibeigene behandelt! Bei jeder Überstunde hatten wir Vortritt. Und in der Gehaltsverhandlung bissen wir auf Granit.
Einmal habe ich mich bei meinem Chef über diese »Sonderbehandlung« beschwert, worauf er sagte: »Wenn es Ihnen nicht passt, dann kündigen Sie doch einfach!« Und hämisch fügte er hinzu: »Sofern Sie sich das erlauben können!« Er wusste: Ich konnte es nicht! Er hätte mir die Höhe meiner Verschuldung und die Raten der anderen Kredite auf den Cent genau sagen können.
Das scheinbar großzügige Angebot, die Mitarbeiter mit Krediten zu unterstützen, war in Wirklichkeit eine Falle: Wer sich darauf einließ, musste finanziell die Hosen runter- und sich dann alles gefallen lassen.
Auch wenn ich ein paar Cent an Zinsen sparte: Der Preis für diesen Kredit war entschieden zu hoch!
Jessika Bäumler, Fachberaterin
Aufstand bei Aldi
Hat sie? Oder hat sie nicht? Sicher ist: Die Leiterin der Frankfurter Aldi-Filiale saß in ihrem Büro, als der Betriebsrat gewählt wurde. Sicher ist: Von dort konnte sie per Joystick eine Kamera im Lagerraum steuern. Und sicher ist auch: In jenem Lagerraum sollte eine »geheime« Wahl stattfinden. Etliche Mitarbeiter fühlten den Blick ihre Firma auf dem Kugelschreiber brennen, während sie ihr Kreuz setzten. [82]
So ging die Wahl dann auch aus; Aldi legte sich einen Betriebsrat nur aus Filialleitern zu! Das ist so, als sollte eine Monarchie durch demokratische Wahlen reformiert werden – aber am Ende werden, unter dem Druck der königlichen Truppen, nur Mitglieder des Königshauses an die Macht »gewählt«.
Der König ist tot – es lebe der König!
Diese Wahl war der Höhepunkt einer unappetitlichen Schlacht. Sechs Monate lang hatten drei Aldi-Mitarbeiter für einen Betriebsrat gekämpft – aus Notwehr, denn Aldi hatte sie angegriffen. Ein neuer Filialleiter hatte Diebstähle nicht auf Obdachlose zurückgeführt, die öfter mal mit Wodka-Flaschen unter dem Mantel erwischt wurden – sondern auf drei Arbeitskräfte. Eine Kleinigkeit fehlte ihm zwar, die Beweise, aber das kümmerte ihn nicht. Öffentlich erhob er seine Vorwürfe und drohte mit einer Versetzung.
Das Maß war voll! Und so strebten die drei Beschuldigten an, was Aldi mit aller Kraft in seinen Filialen verhindern will: einen Betriebsrat. Der Bedarf war groß: Zur Wahlversammlung strömten fast alle 40 Wahlberechtigten.
Doch die revolutionären Umtriebe fanden unter Aufsicht statt, in die Liste der Aufständischen trug sich auch die Königin persönlich ein: die Regionalleiterin. Und mehrere Filialleiter, Mitglieder des Königshauses, führten bei der Versammlung in aggressivem Ton das Wort. Natürlich gegen den Betriebsrat. Kein Mensch brauche ihn. Schließlich sei man mit dem Königshaus, sprich ihnen selbst, bislang gut gefahren.
Unter den Augen ihrer Obrigkeit, die jedes Wort registrierte, knickten die revolutionären Truppen ein: 31 Mitarbeiter sprachen sich gegen einen Betriebsrat aus, drei enthielten sich.
Der Putschversuch war gescheitert – und die Putschisten mussten um ihr Arbeitsleben bangen: Fünf Tage nach der gescheiterten Wahl bekam einer der verhinderten Betriebsräte Post von seiner Königin. Plötzlich erinnerte sich die Regionalleiterin an einen Vorfall, der schon einen Monat zurücklag: »Am (…) 10.03.2011 waren Sie zum Arbeitsbeginn um 6 Uhr eingeteilt und eingeplant. Erst zehn Minuten nach dem eigentlichen Arbeitsbeginn, also gegen 6.10 Uhr, meldeten Sie sich telefonisch in der Filiale und teilten mit, dass Sie Durchfall hätten und nicht zur Arbeit erscheinen könnten. Mit Ihrem Verhalten haben Sie erheblich gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen.«
Warum sich Mitarbeiter üblicherweise nicht direkt um 6 Uhr krankmelden, hätte sie durchaus wissen können: Zu dieser Zeit sperrt die Frühschicht den Laden gerade erst auf und kümmert
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