Bin ich hier der Depp
los, wenn dieser zur Toilette ging, hoch genug auf eine Leiter kletterte oder einen Schlagbohrer anwarf.
Nach einigen Tagen kam er verschwörerisch auf einen älteren Kollegen zu: »Sag mal, wie sind die Waren hier eigentlich gesichert?«
»Gesichert? Wie meinst du das?«
»Na, wer verhindert eigentlich, dass ich mir etwas in die Tasche stecke und damit in den Feierabend spaziere?«
»Dein Anstand, hoffentlich!«, gab der Kollege zurück.
»Aber nicht jeder ist anständig. Weißt du, ob gelegentlich jemand etwas mitnimmt?«
Der Kollege versicherte, die Mitarbeiter seien an einer einwandfreien Inventur interessiert, nicht an ihrer persönlichen Bereicherung.
Ähnliche Anläufe unternahm der Trainee bei anderen Mitarbeitern. Wenn er damit nicht landen konnte, schaltete er auf das Gesprächsverhalten eines Meinungsforschers um: »Sag mal, wer in der Geschäftsleitung ist eigentlich der beste Typ? Und wer der größte Affe?«
Doch so plötzlich, wie er gekommen war, verschwand der Trainee wieder. In der Verwaltung ist er niemals angekommen. Ein paar Wochen später zitierte der Geschäftsführer den Lagerleiter zu sich: »Ihre Mitarbeiter sind nicht ausgelastet.«
»Wir machen seit Monaten Überstunden!«
»Und wie kommt es dann, dass Ihre Mitarbeiter jeden Montag stundenlang über die Bundesliga quatschen?«
Der Trainee war ein Privatdetektiv gewesen. Mit seiner Hilfe hatte der Geschäftsführer gegen seine Mitarbeiter ermittelt. Aber der Detektiv stieß wider Erwarten nicht auf eine Räuberbande. Und weil er seinen Auftraggeber wohl nicht enttäuschen wollte, hat er den Grund für eine Rüge selbst inszeniert: Er hielt die Mitarbeiter durch seine Gespräche von der Arbeit ab – und schwärzte sie dann für ebendiese Gespräche an!
Dieser Fall ist keine Ausnahme: Tausende von Firmen setzen jedes Jahr Detektive gegen ihre eigenen Mitarbeiter ein. Wer das Angebot der Wirtschaftsdetektive im Internet anschaut, bekommt eine Vorstellung davon, was sich Chefs in schlaflosen Nächten über ihre Mitarbeiter zusammenfantasieren.
Zum Beispiel bietet die Hamburger Detektei Hirsch an: »Mitarbeiterüberwachung (…) bei Missbrauch der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, unerlaubter Nebentätigkeit, Schwarzarbeit, Konkurrenztätigkeit eigener Mitarbeiter.« [81] Völlig klar: Der typische Mitarbeiter liegt nicht im Krankenbett, sondern am Strand, arbeitet nicht während der Arbeitszeit, sondern danach (Schwarzarbeit!). Und natürlich ist er auch noch ein Spion der Konkurrenz, der Betriebsgeheimnisse in solchen Mengen verkauft wie ein Bäcker seine Brötchen.
Doch die Verbrechen der Mitarbeiter gehen angeblich noch weiter: »Unsere Detektive und Ermittler decken Diebstahls-, Betrugs- und Unterschlagungsdelikte Ihres Personals auf«, ebenso »Abrechnungs-Betrug, Spesen-Betrug und Reisekostenmanipulation«. Anders gesagt: Wenn ein Mitarbeiter klauen kann, klaut er. Wenn er betrügen kann, betrügt er. Aber wenn er arbeiten könnte, arbeitet er natürlich nicht – weil ihn gerade die Manipulation seiner Reisekosten zu sehr in Anspruch nimmt …
Mit welchen Augen muss ein Chef, der solche Fantasien hegt, seine Mitarbeiter wahrnehmen? Wahrscheinlich schaut er »Aktenzeichen XY « jedes Mal in der Erwartung, gleich die aus den Personalakten vertrauten Passbilder seiner Mitarbeiter als Fahndungsfotos zu sehen: Betrüger, Diebe, Fälscher!
Die Frage ist nur: Wer, wenn nicht der Chefs selbst, hat diesen Haufen eingestellt? Warum ist es ihm nicht gelungen, anständige Mitarbeiter in seine Firma zu holen? Oder liegt es vielleicht gar nicht am Personal – nur an der fortgeschrittenen Paranoia in seinem Kopf?
Jedenfalls springen ihm die Detekteien auch bei der Auswahl der Mitarbeiter zur Hilfe, denn sie bieten »diskrete Personal-Überprüfungen oder Referenz-Überprüfungen Ihrer Bewerber«. Der Neue muss die Firma noch nicht mal betreten haben, schon wird er als potenzieller Verbrecher betrachtet, dem man einen Detektiv auf den Hals hetzen muss. Herzlich willkommen!
Der Mitarbeiter gilt als Blaumacher und Spesenräuber, Warendieb und Arbeitsverweigerer. Keinen Schritt kann man ihn gehen, keinen Handgriff tun lassen, ohne ihm dabei auf die Finger zu schauen.
Und die technischen Möglichkeiten, ihn zu kontrollieren, waren nie besser als heute. Zum Beispiel hat mir der Verwaltungsmitarbeiter eines Süßwarenherstellers folgendes Erlebnis erzählt: Sein Chef rief ihn zu sich ins Büro. Mit ernster Miene sagte er: »Sie wissen,
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